• Vorname:   
  • Nachname:   

Stammbaum der Familie Leiß

Die Reise unserer Familie durch die Zeit

Frerich Otten Leiß (1823-1894)

Mit seiner Familie in Seenot

Abbildung Frerich Otten Leiß, Langeoog

Frerich Otten Leiß

Frerich Otten Leiß war 44 Jahre alt und schon ein erfahrener Seemann, als er mit seiner Frau, zwei Kindern und zwei Matrosen mit seiner Kuff vor Spiekeroog in Seenot geriet. In der Nacht musste eine dramatische Rettungsaktion um Leben und Tod von den Spiekerooger Rettungsleuten bewerkstelligt werden.

Frerich war der jüngere Bruder von Johann Adam und wurde am 29. Mai 1823 auf der Insel Langeoog geboren. Er war der zweitgeborene Sohn von dem Langeooger Schiffer Otto Gerdes Leuß und seiner Frau Wieborg Frerichs. Nach ihm wurden dem Paar noch zwei weitere Söhne geboren: Hans Thomas, von dem wir jedoch nur ein Taufdatum kennen und Onne Otten, der später Schiffer auf Langeoog war. Zur Familie kamen noch zwei Schwestern hinzu: Anna Margaretha und Margarete Elisabeth.
Frerichs Eltern bauten im Jahr 1820, wohl direkt nach ihrer Hochzeit, ein Haus auf Langeoog. Wir wissen, dass sie bei der Volkszählung im Jahr 1861 im Fährhausweg Nummer 11 auf Langeoog wohnten. Auf dem folgenden Foto können wir die Häuser im Fährhusweg sehen:

Häuser im Fährhusweg vor 1880, Langeoog

Häuser im Fährhusweg vor 18801

Am 22. November 1852 heiratete Frerich, im Alter von 29 Jahren, seine Cousine Anna Christina Janssen von der Insel Spiekeroog. Das Paar ließ sich zunächst auf Spiekeroog nieder, im Haus Noorderloog 10.

Im Jahr 1855, vom 1. auf den 2. Januar, kam es zu der sogenannten Neujahrsflut, die zu schweren Zerstörungen auf den ostfriesischen Inseln führte. Die Nachbarinsel Wangerooge wurde weitgehend überflutet, 21 Häuser zerstört und die Insel dreigeteilt.2

Frerich und Anna überstanden diese Zeit und bekamen, vier Jahre nach ihrer Hochzeit, in den Jahren 1856 bis 1863 auf Spiekeroog drei Kinder: Wieberg Sophie, Johann Wilhelm und Hedwig Catharina Margaretha.
Die Familie zog nach Langeoog, wo der Sohn Otto Gerdes im Jahr 1866 geboren wurde. Auf Langeoog kamen noch drei weitere Kinder zur Familie hinzu: Wilhelm Eduard, Fritz Thomas und Catharina Margaretha.
Sowohl auf Spiekeroog als auch auf Langeoog arbeitete Frerich als Schiffer, Schiffskapitän und Fährschiffer.

Diese beiden Schiffe, wahrscheinlich nach seiner Frau benannt, waren in seinem Besitz:

• Die 16 1/10 CL. 24 3/20 oder 43 RT große Galeasse ANNA, die 1860 die Flaggennummer 709 erhielt, wurde 1844 in Neuhaus erbaut. Kapitän und Eigner war Frerich O. Leiß. Für 1862 ist eine Reise nach Amsterdam nachweisbar. Am 5. September 1864 sank die Galeasse auf ihrer Reise von Spiekeroog nach Oudsoen in Norwegen. Die Mannschaft wurde durch das Schiff ENGELINA unter Kapitän Smit gerettet und in Kristiansand gelandet.

• Die 25 L große Hackmetack-Tjalk CHRISTINA wurde 1839 in Papenburg erbaut. Kapitän und Eigner war C. Büschen. 1859 wurde das Schiff zum Verkauf angeboten. Es ging offensichtlich in den Besitz von Frerich Leiß über. Für 1864 sind folgende Reisen nachweisbar: Spiekeroog - Kristiansand und Kristiansand – Steinhausersiel. An Bord befand sich damals als Matrose Johann Melchert Janssen.

Aus dieser Zeit existiert noch ein Brief, den Frerich von einer Schiffsreise an seine Familie schrieb, dessen Abschrift in der Familienchronik der Familie Leiß zu finden ist und den man nun hier lesen kann:

Harwikg, den 18 ten Juni 1865

Meine geliebte Anna und Kinder

Da wir hier mit Nordlingen Wind eingelaufen sind und nicht nach einen Kohlenhafen hinn kommen so habe ich hier Fracht angenommen mit Port Land Zement in Fässern nach Hamburg für 6 Schilling 6 Pens und hoffen in einigen Tagen fertig zu werden wir haben hier alle Tage N.O. Wind und das liegt hier voll Schiffe die nach (einen) Kohlenhafen wollen. Von Edden habe ich gehört das er hier Zement Steine ladet nach der Elbe. Ich habe i(h)n noch nicht gesprochen denn er ladet etwas von hier bei.
Liebe Anna Du musst nach Hamburg schreiben an Schiffsmakler H. M. Gerkens (nun) kann ich Dich nicht schreiben als das ich noch gesund binn was ich von Euch allen hoffe dann seid von mir alle viel tausend mahl gegrüß(t) und geküst von Euern liebenden Man(n) und Vatter Frerich Otten Leihs in Maldon habe ich gut eingekauft für Dich und Hädwieg und Johan, wenn ich das nur erst zu hause hätte, einliegend schicke ich Dich die Postscheine über das Gelt was ich Jann geschieckt habe.

42 Jahre alt war Frerich, als er den Brief in Harwich, einer südenglischen Hafenstadt schrieb. Der Portland-Zement (Ton und Kalk), den er in Fässern nach Hamburg brachte, war eine Erfindung eines englischen Maurers. Bei dem genannten Schiffsmakler aus Hamburg, der von seiner Frau darüber informiert werden sollte, handelt es sich wohl um Heinrich Martin Gehrckens, der in Hamburg eine Reederei besaß.
Den Einkauf für die Familie hat Frerich in der südenglischen Hafenstadt Maldon getätigt. Die erwähnte Tochter Hedwig war erst zwei Jahre alt und verstarb tragischerweise noch im selben Jahr kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember 1865 an Keuchhusten.

Strandung der CHRISTINA


Zwei Jahre später, am 2. August 1867, fuhren Frerich und seine Frau Anna mit zwei Matrosen und der elfjährigen Wieberg sowie dem einjährigen Otto auf einer Kuff namens CHRISTINA, die bei Spiekeroog strandete.
Die Kuff CHRISTINA war vermessen zu 13 1/6 CL, 19 ¾ L à 4000 Pfund oder 40 RT, hatte die Flaggennummer 601 und wurde 1852 zu Hingstförde von Schiffsbaumeister Friedrich Bünting erbaut. Kapitän und Eigner war zunächst Johann Adam Leiss. Für 1852 und 1862 sind Reisen des Schiffes nach Amsterdam nachweisbar. Am 24. Mai 1862 wurde die Kuff an Frerich Otten Leiss verkauft.
Am Abend des 2. August 1867 strandete die CHRISTINA in der Otzumer Balge bei Spiekeroog, unweit der Stelle, an der kurz zuvor die englische Brigg MARY gescheitert war und ging verloren. Das Schiff befand sich auf der Fahrt von Dithmarschen zur ostfriesischen Küste. Der Kapitän, seine Frau, seine beiden Kinder und die beiden Matrosen wurden von dem Spiekerooger Rettungsboot unter Kapitän Janssen gerettet und auf Spiekeroog gelandet.

Rettungsstation Seenotretter Spiekeroog

Rettungsstation Spiekeroog3

Der Direktion des Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger zu Emden ging aus Spiekeroog folgender Bericht zu:

„Nachdem wir mehrere Male durch die Brandung hin und zurückgefahren waren, kamen die beiden vorerwähnten Schiffe aus See näher heran, augenscheinlich in der Absicht, denselben Abend binnen zu laufen. Wir erkannten bald, daß dasselbe bei der hoch gehenden Brandung nicht ohne Gefahr für sie sei und hätten gerne ihnen zugerufen, umzukehren, zumal auch das Seegatt wegen Versandung nicht Wasser genug hatte, leider konnte unsere Stimme nicht zu ihnen dringen und schon machte auch die kommende Fluth wenigstens für das vordere Schiff die Rückkehr unmöglich. Aufmerksam beobachteten wir den Lauf der beiden Schiffe. Das vordere, CHRISTINA, Kapt. Leiß, setzte auf das Seegatt zu, gerieth aber sogleich auf Grund fest, und eilig flüchtete das andere, das weiter zurück war, auf hohe See hinaus. Nunmehr das Schlimmste für die CHRISTINA befürchtend, begaben wir uns näher zu derselben heran und legten uns unterhalb Windes vor Anker, wartend, ob man sich selber helfen könne oder unsere Hülfe begehre. Wir sahen noch, wie der Kapitän sein Boot über Bord ließ, dasselbe aber sofort umgeschlagen wurde, dann benahm die eingetretene Finsterniß die Fernsicht; um so besorgter und gespannter hielten wir uns jeden Augenblick bereit, auf den ersten Ruf zu Hülfe zu eilen. Es dauerte auch nicht lange, da erscholl Geschrei um Hülfe. Jetzt galt es Tod oder Leben.
Schnell die Anker lichtend, legten wir uns mit aller Kraft auf die Riemen und steuerten auf das Schiff los. Wir mußten durch eine starke Gegenströmung und hohe Brandung uns mit äußerster Anstrengung im Dunkel der Nacht hindurchkämpfen, doch mit den Gedanken, daß es sich hier um die Rettung von Brüdern handle, munterten wir uns einer den andern auf. Mehrere Male schlug die volle Brandung in's Boot hinein, - es bewährte sich trefflich. Wir avancirten langsam, immer lauter durchdrang der Hülferuf des Kapitäns die nächtliche Stille. Leute, helft! Thut euer Bestes! bat das gepreßte Vaterherz, das Weib und Kinder vor dem Wellengrab bewahren wollte.
Fieberisch schlugen unsere Pulse, in dicken Tropfen perlte der Schweiß von der Stirn. Da mit einem Male sahen wir uns zur Seite des Schiffes und groß war die Freude von beiden Theilen. Doch zu Worten war keine Zeit. Ein vom Schiffe herab geworfenes Tau wurde rasch ergriffen, und nun galt es mit höchster Eile die Schiffbrüchigen herüber zu nehmen.
Das ward uns nicht leicht, denn es war dunkle Nacht und die Wellen schlugen hoch, so daß wir auch für unser eigenes Leben sorgen mußten. Das Boot schlug mehrere Male an die Schiffswand an, flog dann wieder weit ab. Zwei Kinder des Kapitäns, ein Säugling und ein 10-jähriges Mädchen, mußten uns zugeworfen werden, dann folgte die Mutter, welche zwischen Schiff und Boot beinahe gequetscht wäre, hierauf sprangen der Kapitän und seine zwei Matrosen zu uns über, einige Kleidungsstücke mitnehmend, und nun suchten wir uns so schnell als möglich von dem Schiff zu entfernen. Hierbei war die äußerste Vorsicht erforderlich, weil das kleine Boot mit 20 Menschen überzählig besetzt war und wir bei der Unmöglichkeit, uns umzusetzen, rücklings rudern mußten, doch mit Gottes Hülfe kamen wir glücklich durch die Brandung hindurch. Hier wurde noch ein Mal Halt gemacht auf Bitten des Kapitäns, der zu wissen wünschte, wo sein Schiff, das wieder in's Treiben kam, blieb; wir sahen, wie dasselbe durch die Brandung hindurchtrieb, aber auf tiefem Wasser in unserer Nähe sofort - gegen 9 ½ Uhr - sank. Dann ruderten wir weiter dem Strande zu, setzten an der Südwester-Ecke die Schiffbrüchigen aus, welche von 4 Leuten unserer Besatzung nach dem Dorfe zu den Ihrigen geleitet wurden, und gelangten selbst, nachdem wir auf der Rhede das Boot sicher vor Anker gelegt hatten, um 11½ Uhr Nachts zu Hause an «
Vorstehender Bericht ist nicht nur bestätigt durch das beigelegte Zeugnis des geretteten Kapitäns Leiß, sondern auch durch die von mir vorgenommene Aussage der fremden Kurgäste, insbesondere der Herren Oeconom Reling aus Relinghausen und Proprietär Rahstede aus Jever, welche an der Fahrt Theil nahmen und des Lobes voll sind über die Tüchtigkeit und Unerschrockenheit sowohl des Vormannes als auch seiner 8 Begleiter. Das Comiteí glaubt daher zur Empfehlung derselben weiter Nichts hinzuzusetzen zu brauchen. Hätte freilich nicht die unsichtbar waltende Hand Gottes die Umstände so gefügt, daß gerade am Freitag Abend, wo das Wetter fast zu ruhig für eine Uebungsfahrt schien, eine Fahrt unternommen wurde, so wären die 6 Schiffbrüchigen von den Wellen verschlungen, ehe noch Anstalten zu ihrer Rettung getroffen werden, ja ehe noch Kunde von ihrem Unglück nach dem Dorfe gelangen konnte; denn etwas nach 8 Uhr Abends, da es schon dunkelte und nur wenige noch am Strande waren, scheint die CHRISTINA auf Grund geraten zu sein und zwischen 9 und 10 Uhr war sie schon versunken. Doch das mindert nicht den Werth der eben so umsichtigen als muthigen Hülfeleistung, welche die in Todesangst Schwebenden erfahren haben. Wohl aber mag man aus diesem Unglücksfall schließen, wie manches Schiff im Schweigen der Nacht schon in den Außengründen der ostfriesischen Inseln mit Mann und Maus gesunken ist, ohne daß je etwas davon bekannt worden. Die CHRISTINA liegt jetzt bis zur Hälfte der Masten unter Wasser, so daß von dem Inventar nur wenig geborgen ist. Indem es mir schließlich zur Befriedigung gereicht, aussprechen zu können, daß das Vertrauen der Mannschaft zu dem Boote, das sich bei dieser Gelegenheit außerordentlich tüchtig und wehrbar gezeigt hat, durch diese Fahrt sehr befestigt ist, zeichne ich mit verzüglicher Hochachtung in des Comitee Namen der verehrlichen Direction
ergebenster Dr. Harms, Pastor"

Ab dem Jahr 1872 wird Frerich Otten als Vormann auf dem Langeooger Rettungsboot genannt. Wie sich die Menschen in Seenot fühlen, hatte er am eigenen Leib erleben müssen und sich wahrscheinlich auch deshalb so engagiert.

Arbeit als Fährschiffer


Im Jahr 1876 wurden bereits 365 Badegäste auf Langeoog gezählt. Die wöchentliche Fährverbindung zwischen Bensersiel und Langeoog, die im Jahr 1867 von seinem Bruder Johann mit der Schaluppe HOFFNUNG eingerichtet wurde, wurde 1872 von Frerich übernommen und auf zweimal wöchentlich erweitert, nun mit der Schaluppe ARTHUR VON LANDSBERG.
Nach Absprache mit dem damaligen Kurator des Inselhospizes des Klosters Loccum, Herrn Barkhausen, und der Bereitstellung von 5.679,64 Mark durch das Kloster für den Neubau eines Fährschiffs mit einer Kajüte für 36 Passagiere, wurde die Schaluppe CURATOR (13,38 Registertonnen, gebaut in Dornumersiel) im Jahr 1885 in Betrieb genommen und ging nach Zahlung der Raten in den Besitz von Frerich Otten Leiß über. Mit der CURATOR stellte Frerich Otten, nun 62 Jahre alt, im Sommer eine tägliche Verbindung her.

Reede von Langeoog, Schiffe Kehrwieder Kuper Willkommen Döring Curator Leiß

Auf der Reede von Langeoog.
Von rechts: KEHREWIEDER, Kapitän Hillrich Kuper, WILLKOMMEN, Kapitän Döring, und die Tjalk CURATOR, Kapitän J. W. Leiß. 4

An der Art zu reisen hatte sich bis 1885 nichts geändert, wie Studienrat Henke in seiner Familiengeschichte eindrucksvoll beschrieb:

„Es ging in Eile aufs Schiff. Wir waren etwa 16 Personen, ohne die drei Schiffer. Die Seefahrt war köstlich in jeder Hinsicht. Wegen Gegenwindes mußten wir oft kreuzen und brauchten zwei Stunden, was aber bei dem herrlichen Wetter kein Schaden war. Auf der Reede hielt das Schiff etwa 2000 Schritt vom Lande. Nun kamen auf ein Signal die Wagen durch das Wasser an das Schiff gefahren. Dieselben sind ungeheuer hoch, was, da nur die Köpfe und die Hälse der Pferde aus dem Wasser hervorsehen, nötig ist. Sie kamen dicht heran und wir stiegen gemütlich über. Einen eigentümlichen Eindruck machte es freilich, so von Pferden durch die rollenden Wogen gezogen zu werden. Nach einer Viertelstunde waren wir im Dorf.“

Das die Überfahrt nicht immer so glatt verlief, schildert Henke acht Tage später:

„Wir sind mehrere Tage vom Lande abgeschnitten gewesen, haben alle Postsachen naß erhalten und mein letzter Brief wird sich wohl auch verspätet haben, weil das Schiff gestrandet ist. Bei der Rückkehr vom Festland wurde es nämlich von einem Gewittersturm überfallen. Der alte Kapitän, der seit 19 Jahren das Schiff führt und nie einen Unfall gehabt hat, nahm plötzlich eine furchtbar schnell nahende Windhose wahr. Leider gelang es nur noch, ein Segel einzuholen. So brachte er die Passagiere in die Kajüte und ließ das Schiff auf eine Sandbank laufen. Hier faßte es der Wirbelsturm und legte es auf die Seite. Auf offener See wären wir allerdings alle verloren gewesen. So aber lag das Schiff fest.
Die Leute schlugen die Luken ein und befreiten die Passagiere aus der Kajüte, wo sie schon bis zum halben Leib im Wasser standen. Sie wurden im Rettungsboot nach Esens zurückgefahren... Das Schiff ist wieder aufgerichtet und liegt in Bensersiel im Hafen. Ein anderes vermittelt den Verkehr . . . Auf der Insel waren damals zwei Hotels. Das eine, ein kleines Backsteingebäude (Ahrenholtz), das andere eigentlich nur eine Gastwirtschaft mit wenigen Logierzimmern. Die Mittag- und Abend-Gäste wohnten in den niedrigen Schifferwohnungen der Insulaner. Die meisten Gäste hatte das ,Hospiz' des Klosters Loccum, das für Geistliche, Beamte und Offiziere mit ihren Familien errichtet war ... Während die Badegastzahl im Jahre vorher nur etwa 500 betrug, stieg sie jetzt auf etwa 1000. Der Strand ist herrlich . . . Stünde ich nicht um fünf - halb sechs auf, so würde ich, gleich vielen anderen, nicht einmal zum Briefschreiben kommen . . . Die Tage vergehen köstlich . . .
Dabei freut man sich immer wieder über den alten Oberst, der die Freundlichkeit und Güte selber ist, alles selbst besorgt und dem Großen wie dem Kleinen in allem hilfreich beispringt . . . Öffnet sich die Saaltür und herein tritt . . . ein Junge von etwa 15 Jahren mit einer Postmütze auf dem Kopfe und einem Ledersacke in der Hand. „Stephan ist da!' schreit alles. Seinen Namen weiß keiner. Stephan haben wir ihn getauft und er hört gern darauf.
Nun strömt alles zusammen und der Oberst liest die Adressen der angekommenen Briefe vor, die jeder freudig in Empfang nimmt. Bei dieser Gelegenheit lernt man auch die am Abend angekommenen Neulinge kennen ... Genannt werden interessante Persönlichkeiten: Pastor von Bodelschwingh, Bethel bei Bielefeld, Professor Wiesinger, Göttingen, u.a. … und erzählt wird weiter von ‚Sedanfeiern': Mittags Festessen, Toaste, Gesänge. Um 3 Uhr zogen die Dorfkinder (zirka 30) mit den Badekindern (zirka 25) ans Meer, wo sie in der ‚Abtei (die Givtbude, so genannt nach dem sie verwaltenden Oberkellner namens Abt) mit Schokolade und Kuchen bewirtet wurden. Der alte gute Bodelschwingh erzählte ihnen sehr herzlich seine Kriegserlebnisse, soweit sie sich auf die Kinder in Frankreich bezogen. Dann wurde am Strande gespielt. Die Jungen ließ ich zum Preise wettlaufen und springen, wobei die Dorfbuben an Kraft, die Gymnasiasten an Gewandtheit die besseren waren, so daß sie beim Ringen stets viel stärkere Dorfbuben warfen und sich dabei stets die Preise holten ... Bei einer Strandwanderung bemerkten wir plötzlich ein Schiff, das die Hochflut auf den Strand gesetzt hatte und das also gescheitert sein mußte . . . Besatzung im Meere umgekommen . . . Meerleuchten…“5

Aber es gab Konkurrenz, die mit einem Dampfer Personen und Güter bequemer und sicher auch schneller zur Insel bringen wollten: Im Jahr 1888 gründeten einige Herren vom Festland die Dampfschifffahrtsgesellschaft Esens-Bensersiel-Langeoog. Da sie noch kein eigenes Schiff hatten, chartern sie für die Sommersaison den niederländischen Dampfer PIET HEIN. Aufgrund des zu großen Tiefgangs des Dampfers mussten die Passagiere weit vor der Insel auf den Segler CURATOR umsteigen, der dann die wartenden Pferdekutschen im Wasser erreichte.
1889 nahm die Reederei den Raddampfer STADT ESENS in Betrieb, der 100 Passagiere befördern konnte. Frerich Otten Leiß wurde im Alter von 66 Jahren Kapitän des Schiffes. Die Werft von Botje, Ensing & Co. in Groningen, Niederlande, baute das 33,33 BRT große, 19,88 Meter lange und 4,09 Meter breite Schiff im Auftrag der Dampfschifffahrtsgesellschaft Esens-Bensersiel-Langeoog.
Erst 1892 wurde eine Landungsbrücke gebaut, die 100 Meter weit ins Meer ragte. Diese Brücke erlaubte das Anlegen bei Niedrig- und Hochwasser. Die Passagiere konnten nun trockenen Fußes das Dampfschiff verlassen und auf der Brücke in die Pferdekutschen einsteigen, die sie ins Dorf brachten.

Schiff Stadt Esens Langeoog

Ankunft Touristen Langeoog

Landungsbrücke Langeoog

Pferdebahn Langeoog

Tongers Ansichtskarten, S. 10 - 17

Auf einer Karte vom Inseldorf und einem beiliegenden Verzeichnis der Hausbesitzer, wurde Fr. O. Leiss als Fährschiffer und Landbriefträger bezeichnet.6 Die Post wurde vom Fährschiffer transportiert und da lag es wohl nah, sie gleich weiter auszutragen.

Der Krieger- und Kameradenverein


Am 8. Januar 1888 riefen Insulaner und Zugezogene im Hotel Ahrenholtz den Krieger- und Kameradenverein ins Leben, einen in dieser Zeit häufigen Verein, in dem sich zunächst vor allem Veteranen der Deutschen Einigungskriege trafen und später auch Reservisten.
In diesem Verein sollte die Geselligkeit unter „Kameraden" gepflegt werden und die Erinnerung an den Sieg über den Erbfeind Frankreich wachgehalten werden. Patriotismus, Militarismus und ein monarchisches Weltbild prägten ihre Mitglieder, die sich einmal pro Monat am frühen Abend für zwei Stunden im „Ahrenholtz" trafen. Die Mitglieder waren äußerlich an ihrer einheitlichen Mütze und ihrem Vereinsabzeichen zu erkennen.7
Elf Gründungsmitglieder zählte der Verein, unter ihnen unser Fährschiffer Frerich Leiß.
"Den Kriegervereinen gehörten in der Regel kleine Kaufleute, Handwerker, niedere Angestellte und Beamte an. Offizieren, Unternehmern und Honoratioren wurde dagegen schon mal die Ehrenmitgliedschaft angetragen".8
“Einstimmig wählten die Männer das Hotel Ahrenholtz als Vereinslokal; nach dessen Konkurs 1905 wechselte der Verein ins neue Hotel ,Germania´ der Söhne von Peters. Vom Wirt des Vereinslokals verlangten die Statuten des Deutschen Krieger-Vereins (DKV), dass er die Verbandszeitschrift Parole abonnierte und in seinem Haus auslegte. Der KKV hatte außerdem darauf zu achten, dass an den Wänden Bilder des Kaiserpaares hingen, auch die Urkunde der Aufnahme des Vereins in den DKV sollte aufgehängt werden. Der Inhaber Hermann Ahrenholtz selbst, ein Offizier a.D. und in den 1890er Jahren Gemeinde- und Kirchenvorsteher, trat dem Kriegerverein nicht bei, wurde aber auf den ersten regulären Vereinsabenden Anfang Februar 1888 ebenso einstimmig zum Ehrenmitglied gewählt wie der amtierende Gemeindevorsteher Heye Broers und der Gastwirt Johann Adam Leiß.“
Im dokumentierten Zeitraum zwischen 1888 und 1905 zählte der Krieger- und Kameradenverein Langeoog insgesamt über vierzig aktive Mitglieder und drei Ehrenmitglieder".9
Aus dem Verein gingen später auch eine Sterbekasse (die im Wesentlichen Beerdigungskosten decken sollte) und ein Gesangverein hervor.
Jährlichen Festveranstaltungen wurden abgehalten. Man traf sich zu Vorträgen, Auftritten des Gesangsvereins, kleinen Theaterstücken, man zog „in guter militärischer Ordnung" mit Fackeln und Musik durch das Dorf und feierten mit den Ehefrauen im großen Saal des Hotels Ahrenholtz und erzählte am Sedantag den Kindern von den großen Schlachten und Siegen.10
"1893 lud der KKV nach einem Fackelzug durchs Dorf zu einem Ball im „Hotel Leiß" (Gasthof Johann Adam Leiß, „Zum Kurfürsten Schaumburg-Lippe").
Zum 25. Jahrestag des Sieges von Sedan 1895 bestaunte die Festgesellschaft zunächst das Feuerwerk, das auf der Kaap-Düne abgebrannt wurde, bevor sie erneut im Hotel Leiß bis in den frühen Morgen tanzte. Zur Feier des Tages schenkte Heye Broërs dem Kriegerverein einen „Sieges- und Jubiläumsthaler".11

"Nur scheinbar ein unpolitischer Verein, hat der KKV auch auf der Nordsee-Insel das antidemokratische Denken der Weimarer Zeit vorbereitet. Sicher hat in den Kriegervereinen Politik zugunsten der Geselligkeit eine kleinere Rolle gespielt als auf den höheren Ebenen des Verbandes. Dennoch verpflichteten auch die Kriegervereine vor Ort wie in Langeoog ihre Mitglieder auf Werte und Weltbilder, die sich ab den 1920er Jahren in der NS-Propaganda widerspiegeln werden".12

Die Kinder


Frerich starb im Alter von 72 Jahren, am 30. Dezember 1894, Frerichs Frau Anna verstarb im Alter von 57 Jahren im Jahr 1890 auf Langeoog. Wir können davon ausgehen, dass die Kameraden aus dem Kriegerverein mit der Fahne zum Haus des Verstorbenen zogen und von dort den Sarg durch den Ort zum Kirchhof geleiteten, wo Mitglieder am Grab ein Spalier bildeten.13

• Tochter Wieberg, die als elfjährige bei der Strandung der CHRISTINA gerettet wurde, wanderte 9 Jahre nach dem Tod ihres ersten Mannes, im Alter von 50 Jahren nach Scotland, South-Dakota, Amerika aus. Hierbei fällt auf, dass Wieberg in zweiter Ehe den Mann ihrer verstorbenen Schwägerin heiratete. Vielleicht wollte sie als Witwe, nach dem Tod ihrer Schwägerin, ihren Schwager unterstützen?
• Über Johann Wilhelm ist an anderer Stelle mehr zu lesen.
• Hedwig wurde nur 2 Jahre alt und starb an Keuchhusten.
• Otto, der als einjähriger bei der Strandung der CHRISTINA gerettet wurde, heiratete, bekam 5 Kinder und war als Matrose und Vormann auf Langeoog tätig. Über ihn ist auch an anderer Stelle mehr zu lesen.
• Wilhelm Eduard war Kapitän auf Langeoog, heiratete und bekam ebenfalls 5 Kinder.
• Fritz Thomas wurde Malermeister auf Langeoog und ging zwei Ehen ein. Er bekam 3 Kinder.
• Catharina heiratete einen Malermeister und bekam 9 Kinder.

Brüder Otto, Fritz, Wilhelm und Johann Leiß, Langeoog

Die vier Brüder Otto, Fritz, Wilhelm und Johann Leiß14

Wie ging es mit der Fährschifffahrt zur Insel weiter?



Kurz vor Frerichs Tod, im Frühjahr 1894, übernahmen seine Söhne Johann Wilhelm und Wilhelm Eduard die Fährverbindung. Im Jahr 1926 trat dann die Inselgemeinde Langeoog aktiv in Erscheinung. Sie konkurrierte mit gecharterten Motorbooten gegen die Dampfschifffahrtsgesellschaft Esens-Bensersiel-Langeoog und kritisierte in Flugblättern die hohen Fährpreise der Reederei für Fracht und Passagiere:

„Alle Bemühungen der Gemeinde Langeoog, die Reederei, die in den letzten Jahren auf Kosten der Insulaner und Badegäste unverhältnismäßig hohe Gewinne erzielt hat, zu einer Senkung der Personen- und Frachttarife zu veranlassen, waren vergeblich. Die wirtschaftlich wesentlich beteiligten Langeooger Einwohner haben sich daher zur Selbsthilfe entschlossen. Ein besonderer Frachtdienst befördert Frachtgüter und Reisegepäck zu ganz außerordentlich viel billigeren Sätzen! Behalten Sie sich die Freiheit in der Wahl der Schiffe auch für Ihre eigene Überfahrt vor. Benutzen Sie für die Überfahrt die Motorschiffe REIHER, VIOD, WILLKOMMEN und KEHRE WIEDER. Auch das Frachtschiff befördert Passagiere zu geringen Preisen. Sie werden vom Schiff mit Wagen ins Dorf oder eventuell vors Quartier gefahren!"

Die Gemeinde unterbreitete der Reederei am 17. Oktober 1926 ein Angebot zum Erwerb ihrer Anlagen in Bensersiel und auf Langeoog. Das Angebot von 80.000 Reichsmark führte zu einer knappen Antwort seitens der Reederei:

„Bezüglich Ihres Geehrten vom 17. ds. Mts. haben wir mit den hiesigen Herren des Aufsichtsrates Rücksprache genommen und waren die der Meinung, daß wir dieses Angebot der Generalversammlung nicht vorlegen können, da dafür wohl keine Aussicht auf Annahme vorhanden. Wir bitten, falls Sie auf unsere Anlagen reflektieren, uns ein höheres Angebot machen zu wollen."

Daran dachten die Langeooger aber keineswegs, obwohl sie natürlich - wie hieß es so schön - auf die Anlagen reflektierten. Am 31. Oktober 1926 ließen sie in einem Brief an die Reederei vorsichtig ihre Muskeln spielen:

„Vorstand und Aufsichtsrat der Reederei scheinen von dem Ernst der Absichten der Gemeinde und Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Pläne trotz der im Stadthause zu Esens gepflogenen eingehenden Verhandlungen noch immer nicht die rechte Vorstellung gewonnen zu haben!"

Die Langeooger erhöhten daraufhin ihr Angebot auf 88.000 Mark, aber die Herren in Esens verlangten mindestens 140.000 Mark. Und ließen ferner die Herren auf Langeoog wissen, dass man auch über gewisse Druckmittel verfügte, nämlich:

„Die uns gemachte Kampfansage nehmen wir keineswegs leicht; wie man dortseitig anzunehmen scheint; wir sind uns klar bewußt, daß wir gegebenfalls einer schweren Zeit entgegengehen, aber wir wissen auch, daß der größere Schaden auf Seiten Langeoogs liegen wird, auch um deswillen, weil viele Gäste um des häßlichen Konkurrenzkampfes willen von Langeoog fernbleiben werden. Im übrigen sehen wir einer objektiven Beurteilung des Publikums über die Schuldfrage in Ruhe entgegen!"

Beide Seiten drohten und argumentierten eine Weile hin und her, aber schließlich kam es zu einer Einigung, mit der beide Seiten leben konnten. Am 28. Januar 1927 unterzeichneten beide Parteien im Büro des Notars und Justizrates Dr. Hans Folkerts in Esens den Kaufvertrag über eine Kaufsumme von insgesamt 100.000 Mark. Damit begann das Schifffahrtsunternehmen der Inselgemeinde Langeoog. Dr. Willrath Dreesen, der Gemeindevorsteher, übernahm das Amt des Direktors, und Otto Leiß wurde zum Chefkapitän ernannt. Neben den bereits erwähnten beiden Schiffen erwarb die Gemeinde die Grundstücke mit den Fahrkarten- und Gepäckschuppen sowie die Landungsbrücke auf der Insel und die gesamte Pferdebahnanlage. Dazu gehörten auch Gleise, Schiffe und 14 Pferde.15

Flagge der Reederei Leiß Langeoog

Hier sieht man die Flagge, die der Familie bzw. Reederei Leiß zugeschrieben wird. Sie wurde jedoch vom Gemeindevertreter Dreesen im Jahr 1927 entworfen und wird noch heute von der Inselreederei verwendet. "Für manche ansässigen Schiffer dagegen, die nicht im öffentlichen Dienst standen, war die Flagge der Gemeindeschifffahrt ein rotes Tuch - zumal das "L" an die konkurrierende Familie Leiß erinnerte".16

Direkt zu Frerich Leuss im Stammbaum

Quellen:

  1. Tongers, S.128
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Neujahrsflut_von_1855
  3. Wiechers, S. 281
  4. Wiechers S.255
  5. Tongers, 1975, S. 113-115
  6. Tongers, S. 128
  7. Echternkamp, S. 102
  8. Echternkamp, S. 98
  9. Echternkamp, S.99
  10. vgl. Echternkamp, S.103
  11. Echternkamp S.104
  12. Echternkamp S. 106
  13. Echternkamp, S.102
  14. Wiechers, S. 258
  15. Schifffahrt der Inselgemeinde Langeoog, S. 26
  16. Echternkamp, S. 272

 

Frerich Otten Leiß

  • Strandung der CHRISTINA
  • Arbeit als Fährschiffer
  • Der Kameradenverein
  • Die Kinder
  • Die Fährschifffahrt
  •  



    Quick Links

    Kontakt

    Webmaster-Nachricht

    Ich habe mich bemüht, alle Quellen auf dieser Seite kenntlich zu machen. Wenn Sie Fehler finden oder etwas hinzuzufügen haben, lassen Sie es mich bitte wissen.