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Stammbaum der Familie Leiß

Die Reise unserer Familie durch die Zeit

Kindheitserinnerungen von Herbert Leiß

Herbert, Ida und Tina Leiß

„Wie war das noch Papa, du erzähltest mal...“

So wurde ich immer wieder gebeten, diese oder jene kleinen Erlebnisse und Episoden zu erzählen. Auch jetzt zu Weihnachten, als unsere älteste Tochter Ute ihren Urlaub bei uns verbrachte, kam es wieder zu dieser Aufforderung. Nachdem sie abgereist war, fanden wir in ihrem Zimmer einen Briefblock, in dem sie ein paar solcher Erzählungen aufgeschrieben hatte und bat: „Schreibst Du weiter, Papa?

Ganz so leicht, wie du dir das vorstellst liebe Ute, ist das sicher nicht, doch kann ich es ja einmal versuchen.

Wir wohnten, das heißt, meine Eltern, meine zweieinhalb Jahre jüngere Schwester und ich, in einem kleinen Insulanerhäuschen, das sich hinter, für meine damaligen Begriffe, zwei mächtigen Bäumen duckte, einer Schwarzerle und einem Zwetschenbaum. Die Zwetschen waren allerdings nicht für uns bestimmt, nicht einmal von den abgefallenen Früchten durften wir eine aufheben, dann kam gleich die Eigentümerin und drohte mit der Faust. Dieses besagte kleine Insulanerhäuschen hatte sich 1812 „Tjark Otten Leuß“ für 180 Rth. ( Reichstaler ) gebaut. Später wohnte hier die Hebamme Tätje Pauls, auch „Tätjetant“ genannt. Heute finden wir an dieser Stelle das Hotel „Upstalsboom“ (Kröger). Bei Tjark Otten Leuß muss es sich wohl um den Kapitän gehandelt haben, der die vom Kaiser Napoleon verhängte Kontinentalsperre missachtete, auf gut deutsch „schmuggelte“ und damit sehr viel Geld verdiente. Er soll einmal gesagt haben, dass alle seine Kinder, Enkel, Ur- und Ururenkel nicht mehr arbeiten brauchten. Leider kam es anders, als er es sich gedacht hatte. Die Franzosen, die ihn schon lange verdächtigten, hatten ihn bei einem Aufenthalt in Bensersiel erkannt. Eine wilde Verfolgungsjagd begann. Es blieb ihm keine andere Möglichkeit als zu versuchen, sein Schiff, das draußen auf tiefem Wasser vor Anker lag, schwimmend zu erreichen. Der durch das schnelle Laufen überhitzte Körper hat dann die plötzliche Abkühlung durch das sehr kalte Wasser wohl nicht verkraftet. Die Folge war eine schwere Erkältung oder gar Lungenentzündung, wovon er sich nicht mehr erholte. Auf dem Sterbebett wollte er seinen Angehörigen noch mitteilen, wo er all sein Geld eingegraben hatte, denn eine andere Möglichkeit der Aufbewahrung hatte er ja nicht. Aber er konnte nur noch leise hauchen: „Dor achter unner“. Eine Schatzsuche war und ist jetzt wohl aussichtslos, denn ein paar sehr arme Leute waren plötzlich sehr reich geworden und hatten sich mehrere große Häuser bauen können. Dazu gehörte vor allem die Hebamme Tätje Pauls. Dieser letzte, mühsam hervorgebrachte Spruch von „Dor achter unner“ ist sicher noch vielen, alten Langeoogern bekannt.

Auf dem linken Bild sind zu sehen: Otto Gerdes, Johann Wilhelm, Arnold Heinrich (es fehlt Frerich) und unten: Hanki, Trinke, ?, Anna und Eva.
Auf dem rechten Bild sind Anna, Tina, Erich und Johann Bents zu sehen.

Mein Spielgefährte war mein eineinhalb Jahre jüngerer Vetter Erich (Bents). Unser Treffpunkt war meistens das Haus unseres Großvaters, wo noch junge, unverheiratete Töchter (Tante Eva und Tante Hanki) ihm den Haushalt führten und uns gerne etwas verwöhnten. Von hier aus streiften wir dann durch die Gegend. Gingen zu der Nachbarin, Tante Wilken, ließen uns ein Butterbrot mit Sand (feiner brauner Zucker) geben oder sahen uns gründlich im Dorf um, ob es dort noch etwas gab, was uns interessieren könnte. So sahen wir an einem Tag im Sommer vor der Post, dem heutigen „Inselcenter“, den Einspänner des Verwalters von der Meierei. Herr Crämer kam nur ins Dorf, wenn er dringende Sachen zu erledigen hatte. Als er aus der Post kam fragten wir, ob wir mitfahren dürften. Wir durften. Auf ging es in Richtung Meierei. Er nahm uns mit bis zur Melkhörndüne. Dort, wo jetzt die Jugendherberge ist, war damals der Ort, von dem der Kuhhirte der Meierei seine Herde überwachte. Crämer wechselte ein paar Worte mit seinem Hirten und fuhr dann alleine weiter zur Meierei. Da es mittlerweile Mittag geworden war, versorgte uns der Hirte mit Wurstbrot und Kaffee. N achdem Erich dann noch einen kleinen Mittagsschlaf gemacht hatte, mussten wir den Rückmarsch antreten. Das war für uns Kinder mit fünf und dreieinhalb Jahren natürlich ein gewaltiges Unternehmen, zumal es nach dort noch keine Straße oder gepflasterte Wege gab, man also querfeldein wandern musste. So war es schon spät nachmittags, als wir das Dorf erreichten. Hier war verständlicherweise große Aufregung. Überall hatte man uns gesucht. Niemand hatte gesehen, dass der Verwalter uns mitgenommen hatte. Auf die Frage: „Wo kommt ihr den jetzt her?“ antworteten wir ganz stolz und überzeugt, „von der Meierei!“ Damit wir uns merkten, dass solche oder ähnliche Expetitionen in Zukunft zu unterbleiben hätten, wurde uns das mit ein paar kräftigen Handstreichen auf den Hosenboden geschrieben.

Obwohl Langeoog seit vielen Jahren als Nordseebad bekannt war, ein paar Hotels, grössere Pensionshäuser, auch drei Lebensmittelgeschäfte und zwei Bäcker vorzuweisen hatte, gab es jedoch kein Milchgeschäft. Die Kuhhalter, davon gab es mehrere auf der Insel, verkauften ihre überschüssige Milch an den nächsten Nachbarn. Meine Aufgabe war es nun, jeden Abend um 18.00 Uhr mit einem kleinen Eimer einen Liter dieser begehrten Flüssigkeit bei der Familie Lüken abzuholen, was für mich als Fünfjährigen nicht immer ganz problemlos war. Zum einen hatten Lükens einen Dackel, der gerne mal zuschnappte und den wir darum Hackenbeißer nannten, und zum anderen war es im Winter um 18.00 Uhr schon dunkel und die Straßen leer. Straßenbeleuchtung gab es noch nicht. Sicher war es kein weiter Weg, den ich zu gehen hatte, denn das Haus Lüken war das jetzige Textilgeschäft Andreesen (Seemann) in der Barkhausenstraße. An einem Abend im Dezember kam ich mit meiner Milch bei Lükens raus, froh, dem Hackenbeißer mal wieder ungeschoren entkommen zu sein, sah ich auf der anderen Straßenseite, sie ist dort etwa 25 bis 30 m breit, den Weihnachtsmann. Oh Gott, war ich eigentlich immer artig? Ich blieb stehen, der Weihnachtsmann auch. Ich ging langsam weiter, der Weihnachtsmann auch. Ich ging langsam weiter, der Weihnachtsmann ebenfalls. Wieder blieb ich stehen, der Weihnachtsmann tat dasselbe. Jetzt rannte ich, aber der Weihnachtsmann konnte genau so schnell rennen wie ich. Da warf ich meinen Eimer weg, brüllte so laut ich konnte und lief um mein Leben. Weinend und an allen Gliedern zitternd kam ich zu Hause an. Von den Eltern wurde ich mit der Frage empfangen, „was ist passiert und wo hast du die Milch?" Ich erzählte mein Erlebnis. Ich hatte wohl erwartet, jetzt in Schutz genommen und bedauert zu wer den und war ganz erstaunt, stattdessen eine Tracht Prügel zu ernten. Ja, die kostbare Milch war weg und schlecht zu ersetzen, außerdem hatte sie Geld gekostet und das hatten wir bestimmt nicht im Überfluss. Zudem hatte ein Junge kein Bangebüx zu sein.

Wenn mein Vater mir bei solchen oder ähnlichen Vorfällen öfter mal den Hosenboden stramm zog, so tat er das bestimmt nicht, weil es ihm Spaß machte. Nein, er hatte uns gern, konnte stundenlang mit uns spielen und Spielsachen basteln. Er wollte mich aber wohl nicht verweichlichen, sondern nach dem Motto erziehen: „Gelobt sei, was uns hart macht!“ Ich glaube, dass ihm das auch wohl gelungen ist. Nie hat er mir eine Ohrfeige gegeben, immer waren die vier Buchstaben der leidtragende Körperteil. Gerne benutzte er seine Lederschlappen dabei als Schlagwerkzeug. Als ich noch recht klein war und nach einer solchen Prozedur weinte, wurde ich dann gerne von den jüngeren Onkeln und Tanten gefragt: „ Och her Herbert, hest du Hau hat?“ Meine Antwort war dann: „Joo, mit Hack!“(mit dem Absatz). An dieser Antwort hatten sie dann ihren Spaß. Ich war noch nicht ganz 6 Jahre alt, als der erste Weltkrieg ausbrach und mein Vater, wie auch alle übrigen wehrpflichtigen Männer, eingezogen wurde. Nun war meine Mutter mit uns alleine und für sie begann jetzt eine sehr schwere Zeit. Die Unterstützungen des Staates waren gering und reichten für den Lebensunterhalt nicht aus. Die Frauen mussten alle arbeiten um das nötige Geld für Miete, Feuerung, usw. aufzubringen. So wurden Sandsäcke genäht, Hängematten gestrickt, Miesmuscheln gespült und sogar Strandhafer gepflanzt. Das waren Arbeiten, die sonst zum größten Teil von Männern verrichtet wurden. Später mussten auch wir Kinder kräftig mit zupacken.

Vater Frerich Leiß

Die Wohnverhältnisse waren, nach den heutigen Maßstäben gerechnet, sehr dürftig. So hatten wir nur ein Schlafzimmer mit zwei Betten, die nicht nebeneinander, sondern getrennt in den Räumen standen. In dem einen, an der Querwand stehendem Bett schliefen Mutter und Schwester, in dem anderen, an der Längswand stehenden, schlief ich. Eines Nachts wurde ich wach und hörte im Bett meiner Mutter ein recht lautes Schnarchen. Ich weiß nicht mehr, wer mir das Märchen von „Rotkäppchen und der Wolf“ erzählt hat, auf jeden Fall war für mich klar, dass im anderen Bett der Wolf lag, der Mutter und Schwester gefressen hatte. Der Schweiß brach mir aus, was sollte ich bloß machen? Schreien durfte ich nicht, der Wolf würde dann wach werden. In meiner Verzweiflung stand ich vorsichtig auf, nahm einen ordentlichen Anlauf und landete mit einem Hechtsprung auf dem Bauch meiner Mutter. Sie fuhr entsetzt in die Höhe und sagte: „Mein Gott, Junge, was ist denn los?“ „Ach“, antwortete ich, „hier schnarchte es so laut, und da dachte ich, das wäre der Wolf, der euch gefressen hätte, und nun wollte er mich auch fressen.“ Meine Mutter nahm mich in den Arm, beruhigte mich, brachte mich in mein Bett, mit den Worten: „Nun schlafe man schön, du brauchst keine Angst zu haben, auf Langeoog gibt es keine Wölfe."

An meine Einschulung erinnere ich mich kaum. Zuckertüten gab es nicht, denn es war ja Krieg, Süßigkeiten waren knapp und das Geld noch knapper. Besser erinnere ich mich an den Lehrer, Herrn Leiner; er regierte die Klasse in der Hauptsache mit einem langen Rohrstock. Die Prügelstrafe war ja damals noch erlaubt. Sicher hatte er es nicht leicht, denn er musste immerhin 70 bis 80 Kinder, vom ersten bis zum letzten Schuljahr gleichzeitig in einem einzigen Klassenraum unterrichten. Wenn ich auch im ersten Schuljahr noch keine Bekanntschaft mit diesem Stock machte, so hatte ich doch einen Heidenrespekt davor und ging darum nicht gerade mit Leidenschaft zur Schule. Die Bemühungen des Lehrers Soldat zu werden, waren von Erfolg. Recht bald wurde er eingezogen. Die meisten Kinder, vor allen Dingen diejenigen, die öfter mit dem Rohrstock in Berührung kamen, jubelten. Der Pastor musste jetzt den Lehrer ersetzen. Die beiden unteren Klassen aber wurden abgezweigt und von einem Lehrer, der als Soldat bei der Inselwache seinen Dienst tat, am Nachmittag unterrichtet. Damit begann für mich eine regelrechte Leidenszeit. Als Schwager meines Onkels war er noch, wenn auch nur weitläufig, mit uns verwandt, aber mein Vater und er waren durchaus keine Freunde. Das sollte ich bald zu spüren bekommen. Nichts konnte ich recht machen und immer wieder wurde ich bestraft. Eines Tages, im Anfang Januar, hatte ich Klassendienst. Zu meiner Obliegenheit gehörte es also auch, den großen, eisernen Ofen zu heizen. Da ja Kohlen und Brikett Mangelware waren, hatte man uns Tannenzweige von Weihnachtsbäumen zum Verheizen hingelegt. Von diesen Zweigen stopfte ich nun kurz vor dem Unterricht einen ordentlichen Teil in den Ofen hinein. Aber, oh weh, sie brannten nicht, der Ofen fing an zu qualmen und im Nu war das ganze Klassenzimmer voller Rauch. Es war wohl ein ganz besonderes Pech, dass gerade in dem Augenblick der Lehrer zur Tür hereinkam. Er jagte uns hinaus auf den Schulplatz und riss die Fenster auf. Nachdem die Klasse gelüftet war und wir wieder Platz genommen hatten, kam das Strafgericht. „Wer hat Klassendienst? Aha! Komm her mein Freund und halte die Hände auf!“ Nun hagelten die Schläge, immer links – rechts, links – rechts, bis die Innenflächen der Hände rot und blau anliefen. Es mag ihn besonders gereizt haben, dass ich vor lauter Dickköpfigkeit nicht geweint habe und er deshalb immer noch einmal zuschlug. Ich meinte damals, es wären 30 Schläge in jede Hand gewesen. Meine Hände zitterten und schwollen an. Einen Griffel oder Bleistift konnte ich nicht mehr halten. Ich war überzeugt, zu Unrecht bestraft worden zu sein und habe es ihm nie verziehen. In der Pause lief ich nach Haus. Mutter machte kühlende Umschläge und bearbeitete die Hände danach mit einer Salbe. Ob sie den Lehrer noch zur Rede gestellt hat, weiß ich nicht. Ostern bekam ich ein sehr schlechtes Zeugnis und wurde nicht versetzt. Kurz nach Ostern kam mein Vater in Urlaub nach Hause und anstatt einer Bestrafung, womit ich, wegen des Sitzen Bleibens, fest gerechnet hatte, wurde mir eröffnet, dass ich für einige Zeit zu unseren Verwandten nach Pilsum sollte, um dort zur Schule zu gehen.

Auf Grund der Zeugnisse von Langeoog, gab es wegen der Einstufung keine Schwierigkeiten. Aber schon nach etwa vier Wochen sagte der Lehrer zu mir: „Ja, hier gehörst du aber nicht her, mein Junge, du gehörst in die nächsthöhere Klasse, melde dich mal bei Herrn Hering!“ Nun war ich da, wo ich den Schuljahren nach hingehörte. Die Nichtversetzung auf Langeoog war also nichts weiter als Schikane gewesen. Der Lehrer war sehr nett, er wies mir einen Platz an und sagte: „Wir haben gerade Religion, kennst du denn das zweite Gebot?“ Ich bejahte. „Gut, dann sage es doch einmal auf!“ Es gelang mir, das Gebot ohne zu stocken aufzusagen, mit dem Erfolg, dass die ganze Klasse schallend lachte und ich ganz verlegen wurde. Der Lehrer aber meinte: „Einen Augenblick mal, ihr braucht gar nicht so zu lachen, das war alles ganz richtig. Herbert ist in eine lutherische Schule gegangen und dort lauten die Gebote etwas anders als bei den Reformierten!"

Schon nach kurzer Zeit wurde ich von meinen Schulkameraden voll anerkannt und gewann schnell ein paar gute Freunde. Mit meinen Freunden waren mein Großvater und meine Tanten nicht immer ganz einverstanden, denn es herrschte dort noch ein gewisser Standesdünkel und zwar gab es Bauern, Bürger und Arbeiter. Da meine Verwandten Handwerker waren, zählten sie zu den Bürgern und so hätten sie es natürlich am liebsten gesehen, wenn ich auch meine Freunde unter den Kindern der Bürger ausgesucht hätte. Wie lange ich in Pilsum war, ob ein – oder zwei Jahre weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall war es eine herrliche Zeit.

Der Krieg war noch lange nicht zu Ende, als ich nach Langeoog zurückkam und hier bekam ich ihn auch erst richtig zu spüren. Pilsum war ein reines Bauerndorf, auch die Verwandten hatten ein paar Kühe und Schweine im Stall und einen großen Gemüsegarten, den Großvater und Großonkel bearbeiteten. Von wirklicher Not konnte hier also nicht die Rede sein. Auf Langeoog fehlte alles, was man in Pilsum wohl nicht im Überfluss, aber doch ausreichend hatte. Die Zuteilung auf Lebensmittelmarken war mehr als dürftig. Im Winter holte man Miesmuscheln aus dem Watt. Man bereitete sie als Gulasch, durch den Wolf gedreht als Frikadellen oder gar als Muschelwurst. Im Frühjahr wurden, wenn auch verboten, fleißig Möweneier gesucht und im Sommer im Watt Angeln ausgelegt, um ein paar Schollen zu fangen. Aber nicht nur die Lebensmittel waren knapp, auch an Feuerung mangelte es. Mit kleinen Handwagen holten wir Kinder getrocknete Kuhfladen von der Weide, um damit den Torf – oder Kohlevorrat zu verlängern. Nie war der Strand so sauber wie zu der Zeit, denn auch das kleinste Stückchen Holz wurde gesammelt. Aber auch reichen Segen brachte manchmal die See. Eines Tages waren mein Vetter Erich und ich mal wieder mit einem kleinen Handwagen zum Strand gegangen, um zu sehen, ob bei dem Nordwestwind nicht ein wenig Holz anschwemmt war. Leider hatten wir kein Glück. Enttäuscht wollten wir schon nach Hause gehen, da sahen wir im Wasser, wir trauten unseren Augen nicht, ein fein säuberlich eingewickeltes Stück Butter, da - noch ein Stück und da noch eins. So hatten wir zuletzt 8 – 10 Stück Butter. Stolz zogen wir mit unserer Kostbarkeit nach Hause. Im Dorf hatte man wohl schon gehört, dass Butter angeschwemmt wurde. Es kamen uns viele Leute entgegen, alles strömte zum Strand. Auch unsere Mütter, die in den Randdünen Strandhafer pflanzten, hatten schon gesehen, dass es etwas Besonderes zu holen gab. Stunden später war der ganze Strand übersäht von Kisten und Fässern mit Butter. Konnten wir jetzt schlemmen. Es gab Kartoffelpuffer, Bratkartoffeln, usw. alles schön in Butter gebraten. Auch die Steckrüben, der Weißkohl und das Dörrgemüse schmeckte jetzt mit Butter gekocht viel besser als in Wasser gegart. In Tontöpfen, wo sonst Sauerkraut und Salzbohnen drin eingemacht wurden, wurde jetzt die viele Butter mit ordentlich Salz eingeknetet. So hatten wir für längere Zeit einen reichlichen Vorrat. Der Volksschullehrer von der Insel Juist schrieb dazu folgendes Gedicht, das wir auch auf Langeoog in der Schule auswendig lernen mussten:

Botter up Strand

Nord-Nordwest fegt über das Meer,
öde dehnt sich der Strand und leer,
alles sitzt heut im warmen Haus,
nur die Inselwache späht aus.
Da, ein Raunen von Mund zu Mund
trägt durchs Dorf die seltsame Kund,
Rasmus warf heut was Gutes an Land.
„Is Botter up Strand"

Und wirklich,
wo sonst mit Muscheln und Tang
schmückendem Saume die Hochflut stand,
sehen ungläubige Augen verwundert
Kisten zu hundert und aberhundert,
Kisten und Fässer mit Butter gefüllt,
dass der Segen schier überquillt,
goldgelbe Klumpen liegen dort im Sand.
„Is Botter up Strand”

"Care quite dry it" steht drauf geschrieben,
die Antwort ist man nicht schuldig geblieben,
denn was man hier in Verwahrung nimmt,
war für englische Magen bestimmt,
dies schickt uns ein deutscher U-Boot-Kommandant.
„Is Botter up Strand"

“Free is de Strandgang, is Friesenrecht.“
Friesischer Wahlspruch: “Lever dot as Knecht"
Aber die stolzen Friesennacken
bergen heut riesige Butterpacken.
Im Dorf ist an braunen Fäusten nicht not,
hält doch jeder ein tüchtiges Butterbrot,
und selbst das ärmlichste Fischerhaus
sieht heute beinahe behäbig aus.
Eine Silbermöwe hockt dort im Sand,
„Is Botter up Strand!”

Trotz all des Buttersegens, der ja nicht für alle Zeit vorhielt und nicht die ganze Not lindern konnte, mussten immer wieder Möglichkeiten gefunden werden, die mehr als dürftige Kriegerrente durch zusätzlichen Verdienst aufzubessern. Ein sehr findiger Mann kam auf die Idee, doch den Reichtum an Miesmuscheln, den uns das Watt bot, auszunutzen. Er setzte sich mit der Heeresleitung in Verbindung und bekam schon recht bald den Auftrag, so viel wie möglich in Fässern eingelegte Miesmuscheln zu liefern. Sobald die warmen Sommermonate vorbei waren, fuhren die Männer, die wegen der Altersgrenze oder Invalidität nicht eingezogen waren, mit Booten und extra für den Zweck angefertigte Muschelschlitten zu den Muschelbänken und holten große Ladungen Muscheln, die mit Pferdefuhrwerk zum Dorf gebracht und an die Haushaltungen zu einem Preis verteilt wurden. Es war eine harte und mühsame Arbeit. Nun hieß es Muscheln pulen. Gleich nach dem Mittagessen, wenn die Schularbeiten gemacht waren, ging es los. Mutter hatte am Vormittag schon alles so weit vorbereitet, das heißt, sie hatte die für den Tag benötigte Menge von Seetang und Schlick befreit und ordentlich gewaschen. Jetzt wurden sie nach und nach in großen Töpfen gekocht, auf einen Tisch geschüttet und so lange sie noch warm waren ausgepult. Während der Zeit wurde der nächste Topf vorbereitet. Das ging ohne Unterbrechung weiter, bis es so dunkel wurde, dass man die Bärte (ein kleiner Haarbusch, der herausgezogen werden musste) nicht mehr sehen konnte und das Licht noch nicht angemacht werden durfte, weil man mit Petroleum und Kerzen sparen musste. Elektrisches Licht gab es ja auf der Insel noch nicht. Dann durften wir eine Halbe – bis Dreiviertelstunde draußen spielen. Sobald aber die Lichter in den Häusern angingen, verschwanden alle Kinder wieder von der Straße und weiter ging es mit dem pulen, bis wir ins Bett mussten.

Im Herbst 1918 war endlich der Krieg zu Ende. Vater hatte ihn überlebt und war beim Waffenstillstand gerade im Urlaub. Anfang 1919 bekam er eine Lungenentzündung und starb dann im Mai in Esens im Krankenhaus. Die Witwenrente die Mutter bekam, reichte nicht aus, um uns durch die Zeit zu bringen. Sie musste versuchen, irgendeine feste Arbeitsstelle zu bekommen und das war hier auf Langeoog gar nicht so einfach. Als Erstes gab sie die Wohnung bei der Witwe Pauls in der Hauptstraße auf. Wir zogen zu den Großeltern in ein kleines Nebenhaus. Auch die Räume die uns hier zur Verfügung standen, waren klein und eng, aber Mutter verstand es immer, mit dem Wenigen was wir hatten, eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen. Zunächst arbeitete sie von morgens früh bis abends spät als Waschfrau im Hotel Flörke. Des Mittags brachte sie uns dann, von meiner Schwester und mir sehnlichst erwartet, das Mittagessen. Später war sie bei der Kurverwaltung im Warmbad und danach an der Kasse im Hauptbad tätig.

Ich hatte mich mittlerweile zu einem richtigen Jungen entwickelt, der seiner Mutter nicht nur Freude, sondern auch manchen Kummer bereitete. Zu Hause war ich wohl der ordentliche Junge, der alle aufgetragene Arbeiten gerne und zu voller Zufriedenheit erledigte. Außerhalb des Hauses aber sah das schon anders aus. Gerne beteiligte ich mich daran, wenn es darum ging, irgendwelchen Leuten einen Schabernack zu spielen, worüber dann die Beschwerden bei meiner Mutter einliefen. Auch in der Schule zeichnete ich mich oft durch kleine Unarten und Streiche aus, die dann vom Lehrer, falls man erwischt wurde, mit einem schönen, langen Rohrstock belohnt wurden. Gleich nach dem Krieg hatten wir einen neuen Lehrer bekommen, der uns nicht nur während der Schulstunden unterrichtete, sondern uns auch noch für manch andere Sachen zu interessieren versuchte.

So gab er uns an den Winternachmittagen Unterricht im Schnitzen; im Sommer hatte er in den Dünen einen Lehrgarten mit allen Kräutern und Blumen angelegt. Auch Bienen hatte er und wir durften dabei sein, wenn er die Waben auswechselte und Honig schleuderte. Während des Unterrichts war er allerdings sehr streng, aber auch gerecht. Ich habe mir so manche Tracht Prügel bei ihm eingeholt, hatte aber alles redlich verdient. Nach der erteilten Strafe war dann alles wieder gut, es wurde nichts nachgetragen. Nur einmal hatte ich es wohl zu toll getrieben und ihn zu sehr geärgert. Mein Nebenmann und ich hatten versucht, wer wohl das beste Männeken-Piss malen konnte. Ich wurde dabei ertappt und bereitete mich schon seelisch auf die Bekanntschaft mit dem langen Rohrstock vor. Es kam aber ganz anders. Ich durfte nach vorne zum Pult kommen. Herr Körber (der Lehrer) setzte sich dahinter in Positur und hielt mir einen Vortrag, einen Vortrag darüber, wie es in der Erziehungsanstalt in Großefehn aussah und das klang etwa so: „Um 05.00 Uhr musst du aufstehen, dich waschen, und dann geht es ohne Frühstück mit Spaten bewaffnet ins Moor zum Torfgraben. Um 08.00 Uhr Rückmarsch zum Frühstück, danach eine Tracht Prügel zur besseren Verdauung. Anschließend 4 Stunden Unterricht, Mittagessen und dann wieder bis 18.00 Uhr ins Moor, Abendbrot, Schularbeiten und zum Abschluss nochmal eine ordentliche Tracht Prügel, damit man besser schlafen kann. So, nun kannst du dir mal überlegen, ob du da gerne hin möchtest.“ Kaum war ich an meinen Platz zurückgekehrt, fragte mich mein Nebenmann: „Na, wie sieht es da aus?“ Ich gab keine Antwort, er fragte nochmals, wieder gab ich keine Antwort. Als er aber gar nicht aufhörte, sagte ich endlich: „Ach ganz schön!“ Der Lehrer hatte uns beobachtet, nahm seinen Rohrstock, kam mit eilenden Schritten zu uns und fragte: „Karl, was hat Herbert gesagt?“ Er antwortete: „Nichts!“ Schon landete der Stock mit einem zischenden Laut auf seinen Rücken. Dieselbe Frage, dieselbe Antwort, wieder sauste der Stock. So ging es noch ein paar Mal, dann sagte Karl: „Ich habe Herbert gefragt, wie es da aussieht und da hat er gesagt „och, ganz schön.“ „So, das hat er also gesagt“, meinte der Lehrer, „dann nimm du deine Bücher, Herbert, und gehe dorthin, wo es schön ist.“ Ich nahm also meine Bücher, verließ, nicht ohne mich nochmals an der Tür umzusehen und recht freundlich „Wiedersehen“ zu sagen, die Klasse. Zu Hause angekommen fragte Mutter erstaunt: „Wo kommst du denn jetzt her?“ „Herr Körber hat mich rausgeschmissen, ich soll nach Großefehn in die Erziehungsanstalt.“ Einem Nervenzusammenbruch nahe, rannte sie zum Großvater und er erzählte ihm, was geschehen war. Nachdem ich das Vorgefallene genau geschildert hatte, zog er sein bestes, blaues Jackett an, setzte die gute blaue Mütze auf und ging, den roten Vollbart steif nach vorn gestreckt, zur Schule. Es dauerte nicht lange, bis er wieder kam und mir erklärte: „Morgen kannst du wieder zur Schule gehen und benimm dich in Zukunft anständig. “Weiter wurde, auch in der Schule, über den Vorfall nicht mehr geredet. Es muss wohl etwa ein Jahr später gewesen sein, dass ich mich wieder so benommen hatte, wie es nicht sein sollte. Um was es sich gehandelt hat, weiß ich nicht mehr, der Rohrstock wartete jedenfalls schon darauf, in Tätigkeit treten zu können. Dann ertönten die verheißungsvollen Worte: „Bück dich!" Das hieß, den Oberkörper mit durchgedrückten Knien nach vorne beugen und die Fingerspitzen auf die Zehenspitzen legen. Mit einem pfeifenden Laut sauste dann der Stock auf die vier Buchstaben herab. Normal waren eigentlich drei Schläge, aber dieses Mal waren es doch einige mehr. Trotzdem, wenn es auch schwer fiel, schaffte ich es wieder, nicht zu zucken und nicht zu weinen.

Ich setzte mich wieder auf meinen Platz, tat, als wäre nichts geschehen und arbeitete weiter an meinen Rechenaufgaben. Nach kurzer Zeit fragte der Lehrer: „ Na, Herbert, wie sind dir die Schläge bekommen?“ Er war über mein Verhalten wohl doch ein wenig überrascht. Ich gab zur Antwort: „Oh, ganz gut, es ist wenigstens schön warm am Po!“ Ich wurde gelobt, ich wäre doch ein richtiger Junge, eine Strafe, die man verdient hätte, hinzunehmen, ohne eine Träne zu vergießen und zu jammern wie ein Mädchen. Die anderen Jungen sollten sich mal ein Beispiel daran nehmen.

Im letzten Schuljahr hatte ich noch zwei kleine Erlebnisse, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Meine Schulfreunde zu der Zeit waren Hilli (Kuper) und Hinni (Osterkamp). Wir waren eines Tages mit einer langen Leine bewaffnet an den Strand gegangen um dort, an den durch Sturmflut steil abgerissenen Dünen, Bergsteiger zu spielen. Recht bald wurde uns das aber zu langweilig und hatten somit den Rückmarsch durch die Dünen angetreten. Auf diesem Wege trafen wir hinter dem Hospiz auf einen ausgetrockneten Brunnen. Das war doch eine wunderbare Gelegenheit noch etwas zu unternehmen. Hilli, er war der Leichteste, musste mal mit Hilfe der Leine in den Brunnen gelassen werden. Alles klappte großartig, Hilli war unten angekommen. Wir holten ihn bis zu Hälte nach oben und ließen ihn dann wieder heruntergleiten. Das machten wir zwei- dreimal und sagten, er wäre zu schwer, wir könnten es nicht schaffen. Wie er dann dem Weinen nahe war, holten wir ihn endlich heraus. Es war ja ein Glück, dass sich in dem Brunnen keine giftigen Gase angesammelt hatten, wie das so oft der Fall ist, aber um das zu wissen, waren wir wohl noch zu dumm. Am nächsten Vormittag, in der großen Pause, mussten wir zum Lehrer kommen. Bei ihm war der Verwalter des Hospiz, er hatte uns am Vortag bei unserem Tun beobachtet und jetzt festgestellt, dass ein längeres, dickes Bleirohr abgesägt und entwendet worden war. Wir konnten nur unsere Unschuld beteuern. Der Lehrer sagte: „Ich hab Herrn Wissmann schon erklärt, dass ihr es bestimmt nicht gemacht habt, ihr wohl voller Streiche steckt, aber keine Diebe seid.“ Beim Schrotthändler wurde dann das Rohr gefunden und somit recht bald die Täter ermittelt.

Vor Weihnachten wurde von erwachsenen Frauen, die uns für so etwas eigentlich schon zu alt und recht komisch vorkamen, in der Kirche ein Krippenspiel eingeübt. Bei der Generalprobe mußten wir Schulkinder als Zuschauer wirken. Der Lehrer war Organist und saß oben an seiner Orgel, wir Kinder hatten die uns zugewiesenen Plätze eingenommen. Unglücklicherweise saß zwischen meinem Freund Hinni und mir, mein Vetter Erich, der es ganz meisterhaft verstand über jeden seine Glossen zu reißen, ohne selbst auch nur eine Miene zu verziehen. Hinni dagegen, konnte schon über die geringste Kleinigkeit schändlich lachen und andere darin mitreißen. So hatten wir schon gleich zu Anfang einen riesigen Spaß. Nun durfte man aber in der Kirche nicht lachen, und da der Lehrer uns beobachtet hatte, wurden Hinni und ich schon recht bald zu ihm nach oben beordert. Erich, der eigentliche Verursacher, durfte als der Unschuldsengel unten sitzen bleiben. Hinni bekam einen Platz an der einen Seite der Orgel, ich an der anderen. Das Lachen ging noch eine Zeit weiter, wir konnten einfach nicht aufhören. Am Schluß der Probe wurde uns dann eröffnet, dass wir uns am nächsten Morgen vor der Stunde zu melden, um uns eine Tracht Prügel abzuholen. Na ja, es war mal wieder soweit, aber wir hatten ja noch Zeit, uns entsprechend darauf vorzubereiten. Hinni hatte auch gleich eine Idee. Er hatte zu Hause ein Ziegenfell, das wurde durchgeteilt und passgenau zugeschnitten. Am nächsten Morgen, in der Toilette, wurden die Felle in die Hose platziert, schön mit dem behaarten Teil nach außen, damit es nicht klatscht, wenn der Stock darauf traf. Dann wurde in der Klasse erst mal probiert, ob es auch funktionierte. Zuerst bekam ich zwei Schläge. Keinerlei Beanstandung. Dann war Hinni dran. Der erste Schlag war gut. Beim zweiten Schlag war ich wohl etwas zu tief gekommen und hatte die Oberschenkel getroffen. Hinni sprang jedenfalls mit beiden Beinen zugleich in die Höhe, schrie auf und meinte, ich sei ganz gemein. Wie uns aufgetragen, meldeten wir uns vor Beginn der Stunde, wurden aber auf später vertröstet. Auch nach der ersten und zweiten Pause ging der Lehrer nicht auf unser Erinnern ein. Die Tracht Prügel blieb aus. Ob er wohl etwas bemerkt hatte? Gott haben wir uns geärgert, dass die ganzen Vorbereitungen umsonnst gewesen waren.

Die schöne Schulzeit ging langsam dem Ende entgegen. Ostern war Schulentlassung und Konfirmation. Der dazu erforderliche Unterricht (6 Wochen, nachmittags von 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr) wurde, um Feuerung zu sparen, nicht im Konfirmandensaal, sondern in der Schule abgehalten. Wir waren fünf Jungen und sieben Mädchen. Da uns Jungen der Unterricht gar zu langweilig wurde, kannten wir die biblischen Geschichten, die Gebote und Gesangsverse doch alle schon von der Religionsstunde aus der Schule her, versuchten wir ein wenig Abwechselung hineinzubringen. In der Klasse waren Mäuse, die so frech waren, dass sie oft während des Unterrichts bis zum Pult kamen. Wir machten den Pastor auf den Besuch aus der Unterwelt aufmerksam, der sich dann sogleich mit einem langen Lineal auf Mäusejagd machte. Da seine Bewegungen, wohl auf Grund seines hohen Alters, recht steif und hölzern wirkten, war das natürlich ein Grund für uns, ordentlich zu lachen. Um den Spaß noch ein bisschen zu steigern, brachten wir zum nächsten Unterricht kleine Stückchen Speck mit, sengten sie mit einem Streichholz an und befestigten sie mit Heftzwecken an das Pult. Die Mäuse kamen nun nicht mehr einzeln und ließen sich auch kaum noch vertreiben. Natürlich blieb dem Pastor der Grund nicht lange verborgen und so endete der Spaß mit einer ordentlichen Standpauke.

Nun kam eines Tages Walter (Abbi Albers), er war zwei oder drei Jahre jünger als wir, stotterte ziemlich, war aber in der Schule unser aller Freund und gern dabei, wenn es galt jemanden einen harmlosen Streich zu spielen. Walter meinte: „Ick mu-much doch so-so gern mool in-int Skapp sit-sitten, un-un hören, wat-wat de P-P-Pastor jo al-al so ver-vertellen deit." Wir waren einverstanden, versprach es doch mal wieder eine Gaudi zu werden. An der Rückwand der Klasse stand unter anderem ein Kartenschrank, der uns für diesen Zweck sehr geeignet erschien. Da es mal ein Eckschrank gewesen war, fehlten die Seiten- und die Rückwand. Wir setzten eine Fußbank hinein, damit Walter auch gemütlich sitzen konnte, Platz war ja genug und da die eine Seitenwand fehlte, mangelte es ihm auch nicht an Licht und Luft. Auf unseren Ruf: „Pastor kommt,“ kam die Antwort aus dem Schrank „al-al klor!“ Wie immer, wenn der Pastor hereinkam, aufstehen, guten Tag Herr Pastor, singen, beten, hinsetzen. Bis dahin ging alles gut, aber da bewegte sich Walter und das war für Hinni der Anlass, einen Lachkrampf zu kriegen. Er musste nach vorne kommen und sollte sagen, warum er so lacht. Aber er konnte keine Antwort geben, guckt, über die Schulter zurück und lachte, dass ihm die Tränen über die Wangen rollten. Wie er nun gar nicht mehr aufhören wollte, bekam der Pastor einen hochroten Kopf und sagte: „Nimm deine Bücher und gehe, ich konfirmiere dich nicht!“ Nachdem Hinni, immer noch lachend, gegangen war, durften auch die Mädchen gehen. Wir Jungen sollten nun Hinnis Benehmen erklären, konnten aber, um Walter nicht zu verraten, doch nicht die wirkliche Ursache erzählen und versuchten es mit allerhand Ausreden. Wir bekamen eine gewaltige Gadinenpredikt und damit war der Unterricht zu Ende. Nachdem der Pastor gegangen war, holte ich Walter aus dem Schrank. Er hatte Blut und Wasser geschwitzt und meinte: „Düw – Düwel ok, kann – kann de Kerl skeln!“ „Ick heb – heb vör – vör luter Angst int Büx mägen!“ Walter hat sich dann, unter Führung von Hinnis erwachsenen Bruder, entschuldigt und somit war die Sache ausgestanden und Hinni wurde dann auch konfirmiert.

Mit dem Schulabschluss und der Konfirmation war die sorglose Kinderzeit zu Ende. Unsere Wege trennten sich.

Was durfte der Einzelne wohl von der Zukunft erwarten?


 

 



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