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Stammbaum der Familie Leiß

Die Reise unserer Familie durch die Zeit

Otto Gerdes Leuss (1705-1777)

Der Inselvogt von Langeoog

Langeoog, eine der ostfriesischen Inseln, war spätestens im 13. Jahrhundert besiedelt. Es ist nachweisbar, dass schon um diese Zeit Schiffe die Insel anliefen.1 Der erste namentlich bekannte Einwohner der Insel war der, von 1619 bis 1692 dort lebende, Beyffe Eyben.2

Langeoog um 1700 - Ausschnitt aus der Karte Oost-Frise, ou le Comté d’Embden

Langeoog um 1700 - Ausschnitt aus der Karte Oost-Frise, ou le Comté d’Embden, Autor Guillaume Sanson aus Paris (1633 bis 1703), Karte datiert 1692.3

Im Zeitraum von 1640 bis 1700 - es lebten etwa 60 - 75 Menschen in 12-16 Häusern auf Langeoog - musste das Inseldorf mehrfach verlegt werden. Die unmittelbaren Dünen boten keinen ausreichenden Schutz mehr vor der Flut. Zudem bedrohte Flugsand den Ort, die spärlichen Felder versandeten. Die Häuser, die aus Strandgut und Soden errichtet waren, wurden von wandernden Dünen bedeckt.4
Der ganzjährig auftretende Flugsand war ein fortwährendes Problem, dass hausgemacht war: Der Strandhafer, der den Sand an Ort und Stelle gehalten hätte, spielte eine wichtige Rolle im Leben der armen Insulaner, da er unter anderem als Viehfutter, für Haushaltsgegenstände und für geflochtene Taue für die Schifffahrt (genannt Reepe) verwendet wurde. So konnte sich auf den Dünen keine geschlossene Vegetationsdecke entwickeln.5 1712 schrieb Meent Eden an die Regierung:

„Es ist mir unmöglich, auf der Insel länger zu wohnen. Mein Haus steckt beinahe ganz im Sande und es droht, davon niedergerissen zu werden. Ich und die Meinen können nicht einmal ohne Inkommodierung des Sandes essen. Ingleichen können nunmehr weder Kühe noch Schafe noch Gänse auf der Insel gehalten werden, weshalber dann unmöglich ist, auf selbiger fernerhin zu subsistieren. Woher die Lebensmittel nehmen?“6

Auch der Ende 1682 eingesetzte Pastor Hillards Immen aus Tettens, wollte die Insel wieder verlassen. So schrieb er am 12. Dezember 1694 an den Fürsten: "Er habe nun in das dreizehnte Jahr auf dero Insel seinem Gotte gedient". Es falle ihm schwer, sich mit seinen fünf Kindern bei 30 Reichsthalern Jahresgehalt in dieser schwierigen Zeit auf dem Eilande durchzubringen. Er sehe auch keine Möglichkeit, dieselben „mit Gott und Ehren" an solchem abgelegenen Ort für einen Beruf so vorzubilden, daß sie ihr Brot dermaleinst mögen ehrlich erwerben.7
Pastor Immen erhielt eine gut dotierte Stelle in Thunum bei Esens.

Foto Strandhafer

Wenn die Insulaner ihre Häuser versetzten und das kam, laut Tongers, ca. alle 30 Jahre vor, dann nahmen sie alles restlos mit. Die wenigen Spuren ihrer Siedlungen wurden bald vom Winde verweht.8
Die Insulaner waren verpflichtet Seefische, Kaninchen, Hummer, Krabben und Muscheln zu liefern. Im Jahr 1672 beschwerte sich Fürstin Christine Charlotte in Esens, dass die Langeooger und Spiekerooger diesen Sommer nicht geliefert hätten. Scheinbar hatten die Insulaner die Lebensmittel „zu eines anderen Nutzen“ verwendet. Vielleicht hatten die Insulaner aber auch andere Sorgen, denn sie zogen in diesem Jahr vom Osten in den Westen, die Kirche erbaut im Jahr 1666, ließen sie zurück und errichten nur eine Pastorei. Im Jahr 1685 begannen die ersten Insulaner erneut umzuziehen (nach dem Osten, „Melkhörngegend“). In demselben Jahr fand am 12. November die Martinsflut statt und ließ die Befürchtung aufkommen, erneut umziehen zu müssen….9

Hinzu kam die Bedrohung durch Seeräuber. So gibt es Berichte aus der Zeit um 1700, die beschreiben, dass die Nachbarinsel Spiekeroog von französischen Kapern heimgesucht wurde. Man hatte das Vieh auf der Insel, Kühe, Schafe und Gänse totgeschlagen und weggeschleppt und ihre Schiffe ausgeplündert „wie sie auf Langeoog getan“.10

Langeoog verfügte spätestens ab 1630 über einen Inselvogt, der für die Verwaltung und Regierung auf der Insel zuständig war und unter anderem über die Verteilung des Standguts wachte.
(Melchior) Edden Garmer wurde als Vogt 1636 auch namentlich bezeichnet.11
Das Wort Vogt stammt aus dem lateinischen „vocatus“: Der vom Fürsten Berufene.12 „Schreibkundig“ musste er sein, da er der Regierung Bericht erstatten musste. Seine Aufgabe erforderte ebenso Charakterstärke, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, denn wenn er seinen Eid genau nahm und er bei Schiffsbergungen genau hinschaute, musste er sich gegen die Interessen seiner Nachbarn stellen. Von 1747–1777 hatte Otto Gerdes Leuss dieses Amt inne. Nach ihm wurde später der Otto-Leuß-Weg auf Langeoog benannt.

Straßenschild auf Langeoog, Otto Gerdes Leuss

Straßenschild auf Langeoog


Kindheit während der Weihnachtsflut


Otto war das zweite Kind aus der Ehe seines Vaters Gerdt Christian Leuss mit seiner zweiten Frau Maria Elisabeth Otten. Er teilte sein Zuhause sicher mit zahlreichen Geschwistern - 20 weitere Kinder wurden seinem Vater und seinen drei Ehefrauen im Laufe der Zeit geboren.
Otto Gerdes Leuss lebte zunächst mit seinen Eltern in Bensersiel, wo sein Vater Gefreiter und Soldat war und später in Westeraccumersiel, wo sein Vater als Schneider tätig war.
Otto war 11 Jahre alt, als die Weihnachtsflut über die ostfriesische Küste hereinbrach, deren Ausmaß an Zerstörung beispiellos war und sein Leben sicher für immer veränderte:

“Eigentlich haben nur die jungen Männer überlebt”, resümiert Paul Weßels von der Ostfriesischen Landschaft… In Westeraccumersiel blieben nur 7 von 100 Häusern erhalten. Dort waren 397 Tote zu beklagen, auch im benachbarten Dornumersiel ertranken fast alle Einwohner. In Bensersiel ist nur ein Beispiel bekannt, wo die Flucht auf ein Boot gelang. Die ostfriesischen Ämter mit Sielhäfen zur Nordsee wie Greetsiel (95 Tote), Norden (282 Tote), Berum (585 Tote), Esens (842 Tote) und Wittmund (373 Tote) listeten die höchsten Verluste an Menschenleben.13

In den Jahren 1715 bis 1719 verstarb Ottos Mutter. Wann genau und woran ist bisher nicht bekannt, jedoch heiratete sein Vater im Jahr 1719 erneut und der 14-jährige Otto bekam mit Icke Frerichs eine Stiefmutter. Es ist denkbar und nicht schwer vorstellbar, dass viele von Ottos Geschwistern und auch seine Mutter bei dieser verheerenden Flut ihr Leben ließen, denn bei sehr vielen Geschwistern kennen wir lediglich das Tauf- und kein Hochzeits- oder Sterbedatum.

Otto hatte die Flut überlebt, aber um ihn herum hatten viele Übergebliebenen "zwar ihr Leben, aber auch weiter nichts als ihr Leben gerettet. Ihre Ehegatten, ihre Eltern, ihre Söhne, Töchter, Bräute, Brüder, Schwestern, Freunde und Bekannte waren dahin ... dahin ihr Vermögen, baares Geld, Vieh, Vorrath von Torf und allerley Lebensmitteln – sie standen trostlos da als Schiffbrüchige.“14
„Die Vorräte an Saatgut waren vernichtet worden. Auch hatte das Wasser Wiesen und Äcker versalzen, sodass das gerettete Vieh nicht mehr ernährt werden konnte. Hinzu kamen die enormen Aufwendungen für den Deichbau, die den Bewohnern auferlegt wurden.“15

Familienleben


Wie er sein Leben bis zu seiner Hochzeit am 22.1.1728 in Esens verbrachte, liegt im Dunkeln. Wir wissen jedoch, dass er als Beruf bei seiner Hochzeit mit „Ikke Catharina Müller“ (1707-?), der Tochter eines „Balbiers“ (Synonym für Barbier/ Herrenfriseur) aus Westeraccumersiel, angab "Schifferknecht" zu sein. Wahrscheinlich ging er im Alter von 12 bis 14 Jahren in eine Lehre. Heuerte er als Schiffsjunge in Hamburg oder Amsterdam auf einem Schiff an, dass Japan, Indonesien oder die Karibik als Ziel hatte?
Blieb er in der Nähe seiner Heimat und arbeitete in einem der Siele? Die landwirtschaftlichen Produkte der Marsch mussten verkauft werden, andererseits fehlten hier wichtige Rohstoffe, wie Holz, Steine, Stoffe, Metallwaren, Kaffee, Tee, Zucker, Tabak, Bier und Wein. Handel wurde mit vielen Ländern betrieben: Holland, Frankreich, Skandinavien, England, dem Ostseeraum und natürlich Bremen oder Hamburg.
Heuerte er auf einem Walfänger an? Der Bedarf an Lampenöl und Seifen machte das Trankochen wirtschaftlich attraktiv. Von Borkum wissen wir, dass zeitweise fast alle männlichen Bewohner in den Walfang vor Spitzbergen und der grönländischen Küste eingebunden waren. Ungefähr zu Weihnachten kehrten die Männer heim und blieben dort bis in den Februar, wie die hohen Geburtsraten im Oktober nahelegen.
Scheinbar war der Lebensmittelpunkt der Familie in Bensersiel, als auch in Westeraccumersiel, denn an beiden Orten wurden ihnen Kinder geboren:

  • Maria Elisabeth wurde 1728 in Bensersiel getauft und verstarb im Alter von 3 Wochen: „Otto Gerdes von Benser Siel Töchterlein Maria Elisabeth, 3 Wochen“
  • Geeske Margaretha wurde 1729 in Westeraccumersiel getauft (Taufzeugen: Statius Ferar Muller, Procurator a/Esens, Anna Margareta Mullers, Geske Gerds), verheiratet mit dem Schiffer Eberhard Ulrichs. Sie nennen ihre Kinder: Ulrich, Catharina, Otto Gerhard und Catharina.
  • Johann Adam wurde 1731 in Westeraccumersiel geboren, verheiratet mit Gretje Rohlfs. „Johann Adam Leuss, Schiffer Gesell, des Otto Gerdes Leuss, Voigts auf Langeoog, Sohn, mit Gretje Rolff, des Meves Rolffs auch daselbst, älteste Tochter“. Ihre Kinder nennen sie Otto Gerdes und Gertjen.
  • Gerd Christian, 1734 zu Bensersiel geboren.
  • Tjark Christopher (Otten) Leuß, 1737 zu Bensersiel geboren.

  • Langeoog zur Zeit Ottos


    Langeoog kam bei der Weihnachtsflut recht glimpflich davon. Die meisten der großen Katastrophenfluten richteten auf den Inseln weniger Schäden an als auf dem Festland. Viele der Häuser auf den Inseln lagen deutlich über NN und die bis zu über 20 m hohen Dünen hielten den Fluten meist besser stand, als die viel niedrigeren Deiche am Festland. Es gab auf Langeoog keine Opfer zu beklagen, jedoch erhielt die Insel in der Mitte einen großen Durchbruch, der sich immer weiter vergrößerte und die Kirche nebst Pastorei zum Einsturz brachte. Da die Hütten nicht bei der Kirche standen, sondern einige Kilometer entfernt, hielten sie den Fluten stand. Durch zahlreiche Sturmfluten hatte Langeoog schließlich zwei zerstörte Dünenzüge, durch die das Wasser bei Sturmfluten ungehindert hindurchfließen konnte.16

    Langeoog Karten, F. Horst aus dem Jahre 1738

    Die Karte von F. Horst aus dem Jahre 1738. Unglückliche grafische Darstellung: Keine sechs Inseln, sondern „nur“ zerrissene Dünenketten.17


    Nach der großen Weihnachtsflut setzte eine Abwanderung der Bevölkerung auf Langeoog ein. Bis auf vier Familien verließen die Bewohner die Insel. Im Jahr 1721 blieben dann zwei Familienväter auf See, sie waren „auffem Waßer umbkomen" und eine weitere Sturmflut führte dazu, dass auch die noch verbliebenen Familien auf das Festland zurückkehrten. Langeoog war somit entvölkert.18 Die menschenleere Insel sollte jedoch wieder besiedelt werden, im Interesse des Küstenschutzes und zur Einbringung des Strandgutes in die Staatskasse, die nicht wie bisher holländischen Fischern in die Hände fallen sollte.

    „Bis zur letzten Jahrhundertwende spielte die Bergung des Strandguts für die Küsten- und vor allem für die Inselbewohner eine existentielle Rolle. Denn die Boote und Schiffe mußten sich damals auf ihrem Weg zu den großen Häfen Bremen und Hamburg noch weitgehend an den Leuchtfeuern entlang der Nordseeküste orientieren. Dabei wurde den noch überwiegend aus Holz gebauten Schiffen nicht selten eine der zahlreichen, sich ständig versetzenden Sandbänke zum Verhängnis“.19

    Aber erst 1732 wagten sich drei Familien wieder zurück, wenn auch nur kurz, denn für das Jahr 1736 wird berichtet, dass die Bewohner die Insel wieder verließen. Man versuchte auch, mit „Reklame“ die Insel zu bevölkern. So erschienen im Jahr 1733 Anzeigen in verschiedenen Zeitungen:

    „Es wird hierdurch männiglich zu wissen gefüget, daß auf der Sr. Hochfürstl. Durchl. zu Ostfriesland gehörigen Insul Langeoog annoch einige Familien angenommen werden sollen; und können demnach der- oder diejenige, so auf besagter Insul sich häuslich niederzulassen Lust haben, sich bei der Hochfürstl. Ober-Rentkammer zu Aurich zu solchem Ende melden.“

    Aber es meldete sich niemand.20 Die Zumutungen ein Leben am Rande des Existenzminimums zu führen, die Abgeschiedenheit, Sturmfluten und Sandwehen, die Gefahr durch Seeräuber, all das schien die möglichen Gewinne durch die Strandungen nicht aufzuwiegen.
    Seit 1736 nahm dann die Bevölkerung wieder stetig zu. Dies vollzog sich aber in langsamen und kleinen Schritten.21 Im selben Jahr rief der Fürst Carl Edzard in Erinnerung, dass er das Hausrecht auf der Insel hat. Er verbot wiederholt, die Wohnungen abzubrechen und zu einer anderen Insel oder an das Festland zu bringen, bei einer Strafe von 20 Goldgulden. 1742 wurden drakonische Maßnahmen gegen das „Dünenlaufen, Helmschneiden, Strandlaufen und Wildkaninchenfangen erlassen:

    „Bestraft soll werden, wer dabei gefaßt wird, zum ersten Male mit 100 Gulden - zum zweiten Male mit 200 Gulden - und zum dritten Male mit Verlust der Güter und allen Vermögens. Auswärtige Schiffer sollten im dritten Falle auch ihr Schiff verlieren. Wer aber nichts bezahlen kann, soll zum ersten Male mit dem Staupbesen - zum zweiten Male mit dem Staupbesen und einem Brandmal (Kainszeichen an der Stirn) - und zum dritten Male mit dem Strange zum Tode an dem Ort der Übertretung bestraft werden. Der Vogt soll außerdem das Recht haben, mit Schrot zu schießen, um Ausreißen zu verhindern und den Übeltäter in Arrest zu bringen. Die Beamten in Esens sollten über die Durchführung dieser rigorosen Bestimmungen wachen."22


    Die Familie zieht nach Langeoog



    Karte Tabula Frisiae Orientalis, Langeoog

    Ausschnitt der Karte Tabula Frisiae Orientalis, von Ehrenreich Gerhard Coldewey aus Oldenburg, im „Atlas Geographicus Major", Nürnberg zwischen 1729 und 1750.23

    Vier Jahre nach diesem Erlass und 18 Jahre nach ihrer Hochzeit, im Jahre 1746, zogen Otto und seine Frau mit ihren vier Kindern nach Langeoog, um dort das Amt des Inselvogtes zu übernehmen.

    „Als der Langeooger Vogt Harcke Pauls 1746 überraschend gestorben war, bewarb sich eine ganze Reihe Leute verschiedenster Herkunft, zumeist aus der näheren Umgebung, um den ausgeschriebenen Vogtposten. Otto Gerdes Leuss wurde als der bei weitem Geeignetste vom Amte Esens ausgewählt und von der Regierung in Aurich bestätigt“.24

    Er verließ im Alter von 40 Jahren seine Verwandtschaft und nahm einen gering besoldeten Posten an, der zudem mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden war. Schon die Unterbringung auf Langeoog bedeutete eine Zumutung, hinzukam, dass er seinen jüngsten neunjährigen Sohn Tjark nicht mehr zur Schule schicken konnte. Warum war er dazu bereit?
    Otto Leuss hatte im Sturm nacheinander drei größere Seeschiffe verloren. Zwar war er noch Besitzer eines Marschhofes in Westerbur und außerdem noch Hausbesitzer in Bensersiel, aber durch die schweren Schicksalsschläge und die zeitweise erschreckend hohen „Deich-Lasten“, die auch die Marschhöfe oft nahezu wertlos machten, war er so verschuldet, dass er sich kein Ersatzschiff mehr beschaffen konnte.
    Daher fand er sich bereit, zunächst nur auf eine gewisse Zeit den Langeooger Vogtdienst zu übernehmen. Es sollten aber 30 Jahre - bis an sein Lebensende - werden.

    Link zum Strandrecht von 1636

    Da er sich Pferd und Wagen, und ein kleines „Fahrzeug“ anschaffen konnte, hatte er Aussicht, durch Fischen und „Schillen“ (Muscheln an einer Sandbank schöpfen und spülen, die zum Kalkbrennen am Festland genutzt wurden) regelmäßigen Verdienst zu finden.
    Als Vogt hatte er ein Anrecht auf das Ausschankmonopol der Insel („freien Krug“) und den doppelten Berger-Anteil bei Strandungen. Größere Schiffstrandungen brachten ihm so erhebliche Anteile, sodass er wieder zu einigem Wohlstand kam und das „Heerenhus“ für 50 Gulden wie auch im Jahr 1771 ein größeres, seegängiges Schiff („Kuffschiff“) kaufen konnte.25

    „Der Zustand des „herrschaftlichen Vogtshauses", in dem drei Vogtsfamilien hintereinander vorlieb nehmen mußten, war derart traurig, daß kein Flicken mehr half. Vogt Leuss mußte sich entschließen, es zu kaufen, um es dann gründlich umzubauen. Die Witwe des Vogts Harcke Pauls hatte nichts daran tun können. Es glich einer verfallenden Hütte. Drinnen hatte es außer der Küche eigentlich nur einen bewohnbaren Raum. Alles andere wurde als Viehstall benutzt. Die Decke über den Wohnräumen bestand nur aus einigen Bohlen, die das darauf lagernde Heu tragen sollten. Der Schornstein war nicht übers Dach hochgezogen und entließ so seinen Rauch ins Hausinnere. Dachziegel fehlten oder hatten keine Docken; ihre Lücken wurden mit Soden ausgefüllt. In den Fenstern fehlten Scheiben, die Haustür schloß nicht. Dazu war die Wohngegend „Heerenhus" nicht bloß einsam, sondern auch durch zwei Düneneinbrüche schwer bedroht: Das Meer stieß hier an 200 bis 300 Meter auf die Menschenwohnungen mit Gärten und Hellerwiesen vor.“26


    Sein Vogtdienst war nicht leicht...


    Im Jahr 1772 bot die Regierung Otto Gerdes Leuss ein strandtriftig geborgenes Ruderboot für die Fahrten zum Festlande an. Er aber lehnt ab, mit dem Hinweis, dass zwei Schiffe vorhanden seien, die anfallendem Verkehrsbedarf dienen könnten. Von einem festen Fahrplan allerdings kann auf Jahrzehnte hinaus keine Rede sein. Wer zum Festland musste oder umgekehrt, nahm sich bietende Gelegenheit wahr oder wagte den Weg über das Watt.27 Dies werden folgende Generationen der Familie Leiß später ändern.

    "Man bot dem Vogt Leuss, auch die Pachtung der ganzen Insel, im Westen wie im Osten, an, und zwar zu mäßigen Bedingungen, obwohl ein Baltrumer Konkurrent der Regierung ein weit höheres Pachtangebot machte. Vogt Leuss konnte sich aber nicht dazu entschließen. Vielleicht übersah er als Schiffer nicht die Möglichkeiten? Tatsache jedenfalls ist, daß er als Ablehnungsgrund das große Risiko angab, das er zusammen mit seinen Insulanern zu übernehmen sich scheute. Aber es gelang Leuss wenigstens, das Westende der Insel bis zum Großen Sloop aus der Verpachtung herauszuhalten, tatkräftig unterstützt durch das Esenser Amt, und so weiter "freie Weide" für die Westender Gemeinde zu sichern".28 „Die Esenser Beamten wiesen mit Nachdruck darauf hin, dass die bisher stillschweigend zugestandene "freie Weide" unentbehrlich sei für die an sich dürftige Existenzsicherung der Insulaner. Allein auf diesem Wege sei zu gedeihlicher Wiederbesiedelung zu ermutigen“.29
    Hätte Otto Leuss den Mut aufgebracht, die ganze Insel zu pachten, dann wäre die Entwicklung der Insel damals wohl in ganz andere Bahnen gelenkt worden.

    Otto Leuss nahm sich energisch der Schulfrage an, die auf der Insel im Argen lag, jedoch ohne großen Erfolg, da das Schulgeld bei der geringen Zahl an Kindern nicht für eine Existenzsicherung eines Lehrers gereicht hätte. Die Kinder blieben daher „wie die Heiden in größter Unwissenheit der Religion“.30

    „Auf seine Anregung hin kam es zu größeren Buschlieferungen zum Schließen der vielen Außendünenrisse. So wurden von ihm einmal 60 Fuder Busch zum „Flackenbau" angefordert. Interessant dabei ist auch die Beförderung der großen Buschmengen zum Sielhafen auf damals noch nicht chaussierten, gewundenen und besonders im Winter oft grundlos aufgeweichten Kleiwegen. Die deich- und sielpflichtigen Untertanen mussten dazu Hand- und Spanndienste leisten.
    Das Pflanzen von „Hahnendocken“ musste sich Otto Leuss zeigen lassen von dem Baltrumer Pastor Hajen, der darin durch die holländischen Dünenmeyer Erfahrung hatte.“31

    Otto Leuss hatte in seiner Position auch Konflikte mit den Personen zu bestehen, die auf der Insel lebten. „Ein nächtlicher Überfall als Racheakt unweit der Peldemühle vor Esens hätte ihm leicht das Leben kosten können. Er musste sich Handgreiflichkeiten bei gemeinsamen Dienstleistungen wie Heugewinnung und Heuverteilung gefallen lassen. Man neidete es ihm wohl, dass er Anspruch auf den doppelten Part bei Strandungen hatte.“.32

    Zur Verbesserung seines Einkommens wurde Otto Gerdes von der Regierung der Kaninchenfang im Westen der Insel zu mäßigem Satze verpachtet. Der Kaninchenfang war auf den Inseln eine wichtige Einnahmequelle und Nahrungsgrundlage. Die Felle erzielten auf dem Markt in Amsterdam gute Preise, jedoch gab es in Langeoog auch einen ständigen Konflikt zwischen den Pächtern des Ostendes und den Bewohnern des Westdorfes um den Fang der Tiere.33

    „Man verklagte ihn wegen Schädigung der Gärten durch die Kaninchen und beschuldigte ihn, er sei dadurch schuld an dem schwachen Zuzug zur Insel. Die Beamten in Esens durchschauten die Verhältnisse und meinten, diese geringe Gehaltsaufbesserung sei Leuss, um so mehr zu gönnen, als die Langeooger schon selbst dafür sorgten, dass die Kaninchen nicht zu sehr zunähmen. Ebenso war es mit dem Verbot des wilden Eiersammelns in den Dünen, dem Verbot des Helmschneidens und des unkontrollierten Strandlaufens“.34

    Aufgrund eines Konflicktes mit Bruncke Gerdes im September 1760, es ging hierbei um die Verteilung des Strandgutes, schrieb Otto Gerdes Leuss folgenden Bericht an die „Obrigkeit“:

    Da nun einige nasse Torfe auf der Insul Langeoog angetrieben sind, und die Einwohner die nassen Torfe weg getragen haben, und ich es in so weit geduldet habe, um die nassen Torfe nach ihre Häuser zu tragen, also ist der Bruncke Gerdes mit seiner Wüppe nebst des Albert Harmens sein Magd vor der Sonnen Aufgang nach der Strand gefahren. Darauf ist der Voigt ihm so gleich nach gegangen, und hatte dem Bruncke Gerdes ausspannen wollen, also sagte der Bruncke Gerdes, das er wollte sich nicht ausspannen laßen. Die Ursache weiln Maricken Uhlrichs es auch gethan hatte. So wolte er es auch thun. Darauf grif der Voigt sein Wüppe an und wollte ihn usspannen, darauf stoßt der Bruncke Gerdes mich weg und schlug mir, daß das Blut auf den Strand stünde. Da kam mein Sohn Tjarck mir nach und wollte sehen war ich bleibe, da sagte mein Sohn Vater spannet das Pferd und die Wüppe aus, und der hatte ihm so lange feste gehalten bis ich sein Pferd und Wüppe ausgespannet habe. Also ging ich wieder nach mein Hauß, und mein Sohn Tjark wieder nach des Landt zu schwelen. Wie ich zu Hause kam, da kam der Bruncke Gerdes und Carssen Ulrichs wie auch der Albert Harmens zu mir und scholten mir so viel aus, das fast nicht zu sagen ist, und sagten wandt ich es einer von sie gethan hatte, so wolten Sie mir mit Füssen in die Strandt feste getragt haben, nach gehends so sind alle drey nach das Landt gegangen und wollten mein Sohn Tjarck sein Gesundheit benennen. Da rief des Albert Harms sein Frau ihren Mann wieder zurück uns sagte was wolt du dahin thun ich rate dir, das du hier bleibst, also gingen sie alle drey wieder zurück. Darauf ließ ich mein Sohn Tjarck zu Hause hollen. Da sagte Maricken Uhlrichs, ich warschau dir, du mußt von dags nicht wieder nach das Landt, den sie wolten dir dein Gesundheit benemen…

    Daraufhin wandte sich auch Bruncke Gerdes mit einem Schreiben an die „Obrigkeit“:

    Euer Wohlgebohren muß ich hiedurch klagend anzeigen, wasmaßen der Vogt Otto Gerdes Loys mir ohnlängst, wie ich von dem aufm Strande gelegenen naßen Torffe mit einer Wüppe etwas davon aufgesamlet, sehr übel tractiert, indem derselbe mir zu anfangs das Pferd von der Wüppe ausspannen wollte und ich hirwider protestirt, mit der Faust einigemahls vor den Kopff geschlagen, auch dabey gedroht, daß, wenn er ein Meßer bey sich hätte, mir selbiges im Leibe umdrehe und durch die Gedärme stoßen wolte, wozu auch deßen Sohn Tjarck Christoffers Loys das seinige mit beygetragen, mitangegriffen und gleichfalls zu schlagen gedroht, wo ich aber annoch mit guten Worten abgelehnet.

    Wie der Konflickt beigelegt wurde, ist leider nicht bekannt.35

    „Leuss musste als verantwortlicher Vogt auf strenge Durchführung der Bestimmungen achten. Dies war sicher ein Grund, dass es zu Konflikten und harten persönlichen Kämpfen mit seinen Mitmenschen auf der Insel kam. Die Insulaner beriefen sich auf das „Naturrecht“ und wollten davon auch Gebrauch machen, zu dem sie sicher auch die Not trieb. Von den Beamten in Esens wurde Leuss immer wieder bezeugt, dass er der Insel Bestes stets im Auge gehabt habe.
    Als Otto Gerdes Leuss 1777 starb, hatte er auf unserem Eiland ein tüchtiges Werk getan.“36

    „Das Vogtsamt blieb bis 1814 in der Familie Leiß. Die Nachfolge von Otto Gerdes Leuss trat sein Sohn Tjark Christopher Leiß an, welcher seinen Vater schon während dessen Amtszeit unterstützte. Die Funktion des Inselvogtes übernahm danach sein Sohn Tjark Otten Leiß. Ob auch sein Bruder Johann Adam Leiß, welcher während der Franzosenzeit (Kontinentalsperre) als "maire" (Bürgermeister) eingesetzt war, das Amt des Inselvogtes bekleidete, ist nicht bekannt, aber durchaus möglich.“37

    Direkt zu Otto Gerdes Leuss im Stammbaum

    Quellen:

    1. Wiechers, 1994, S. 255
    2. Wikipedia Langeoog, 2023
    3. https://sammlung.koerber-einbeck.de
    4. Kremer, 2023
    5. ebd.
    6. Tongers, 1975, S. 51
    7. Tongers, Unser Langeoog, S. 76
    8. Kremer, 2023
    9. ebd.
    10. Tongers, 1975, S. 48
    11. ebd.,S.41
    12. ebd.,S.67
    13. Wochnik-Chenine, 2023
    14. Chronist C.M. Hafner
    15. Stark, 2017
    16. Kremer, 2023
    17. https://sammlung.koerber-einbeck.de
    18. 100 Jahre Inselkirche, S. 46
    19. ebd.
    20. Tongers, 1975, S. 84
    21. Wikipedia, Langeoog, 2023
    22. Tongers, 1975, S. 86
    23. https://sammlung.koerber-einbeck.de
    24. Tongers, 1975, S. 94
    25. ebd., S. 95
    26. ebd., S.99
    27. ebd., S. 128
    28. ebd., S.100
    29. ebd., S. 95
    30. ebd., S. 122
    31. ebd., S. 96
    32. ebd., S. 96-98
    33. 100 Jahre Inselkirche
    34. Tongers, 1975, S. 96
    35. Jürgensen, 2005
    36. Tongers, 1975, S. 96
    37. Jürgensen, 2005

     

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