Ulrich Eberhard Leuss (1834 - 1897)
Kapitän auf Spiekeroog
Die Familie
Ulrich Eberhard Leuss wurde um „6 ½ abends“ am 25. August 1834 auf Spiekeroog geboren.
Seine Eltern waren der Langeooger Kapitän und Schiffseigner Hans Thomas Leuss und dessen zweite Ehefrau,
die 26-jährige Tätje Ulrichs, eine Schifferstocher von Langeoog.
Beide waren früh Witwe und Witwer geworden und hatten gemeinsam wieder eine Familie gegründet.
Ulrich wuchs mit seiner älteren Schwester Hedwig auf, die vorehelich zu Welt kam.
Ihre Eltern Hans und Tätje heirateten acht Monate nach Hedwigs Geburt auf Spiekeroog.
Vater Hans war - wie so viele in der Familie - Kapitän und Schiffseigner.
Vielleicht verhinderte ja auch eine Schiffsreise eine frühere Hochzeit, wir wissen es nicht.
Hedwig verstarb schon im Jahr 1839 auf Spiekeroog an den Masern, sie wurde nur 6 Jahre alt.
Seine erste Ehe ging sein Vater Hans im Jahr 1829 mit der 25-jährigen Margaretha Wilken aus Esens ein,
die jedoch noch im selben Jahr im November - fast auf den Tag genau 10 Monate nach der Hochzeit - in Esens an der Wassersucht starb.
Kinder sind aus dieser kurzen Ehe nicht bekannt, auch nicht aus der vorherigen Ehe seiner Mutter Tätje mit Hillern Heeren Röben,
einem Schiffer aus Carolinensiel.
Auch die Ehe zwischen Tätje und Hans dauerte nicht lange, denn Hans Thomas Leuss verstarb schon im Oktober 1835 auf Spiekeroog.
Den Tod seiner Tochter Hedwig musste er nicht mehr erleben.
Ulrich Eberhard war 1 Jahr alt, als sein Vater starb.
Sicher ihm zu Ehren nannte er später seinen erstgeborenen Sohn nach seinem Vater Hans Thomas – über ihn ist an andere Stelle mehr zu lesen.
Seine Mutter Tätje, war nun im Alter von 28 Jahren zweifache Witwe und heiratete erneut im Jahr 1838, Adde Heyen Willms,
den Lehrer und Inselvogt von Spiekeroog, der nun der Stiefvater von dem vierjährigen Ulrich wurde.
Im Jahr 1842 bekam Ulrich noch eine Stiefschwester: Gretje Hewig Willms.
Ulrichs Mutter erreichte das stolze Alter von 8o Jahren, sein Stiefvater von sogar 90 Jahren.
Im Jahr 1859, am 27. Februar, heiratete Ulrich im Alter von 25 Jahren die 19-jährige Ettina Fraukelina Fokken aus Westerende,
eine Tochter eines Hausmanns und Schankwirths im Fahnster Krug, Westerende.
Ihre Hochzeit fand in Timmel statt.
Zwei Jahre später, im Jahr 1861 – die Familie lebt im Noorderloog 11 auf Spiekeroog - kam ihr erster Sohn, der spätere Autor Hans Thomas zur Welt.
Auf ihn folgten in den nächsten Jahren 4 Mädchen und 2 Jungen: Wesselke Menna, Johann Addus, Theda Fraukea, Frerich Focken,
Hedwig Ulrike Cathrine und Ettina Frieda.
![Familie von Ulrich Eberhard Leuss, Spiekeroog](/img/UlrichFamilie.png)
Die Familie von Ulrich Eberhard Leuss
Das Leben auf Spiekeroog
Ulrichs Sohn Hans Thomas schrieb als Autor später über sein Leben und das seiner Vorfahren auf Spiekeroog in dem Artikel „Zur Volkskunde der Inselfriesen“.
Diese ausgewählten Schilderungen können vielleicht einen Einblick in das damalige Leben geben:
„Jede Familie hatte einen Toten oder mehrere in der See.
Eine Verwandte von mir war zweimal verlobt; Ihre Verlobten waren beide eben Kapitäne geworden, der eine,
der jüngste Bruder meines Vaters, machte seine erste Reise als Kapitän mit einem neuen Dreimaster.
Beide Verlöbnisse erreichten ihren traurigen Abschluß dadurch, dass die Schiffe mit Mann und Maus in den Herbststürmen blieben",
wie man den Seemannstod auf der Insel nannte.“
„Im Winter wurde „aufgelegt“; alle kamen nach Hause nach schwerem Herbst; manchmal nicht alle.
Dann wurde es sehr heimlich am Herd.
Die Männer wußten einander viel zu erzählen, zuerst natürlich die erlittenen Unfälle, dann alles übrige.
Viele hatten von der Zeit her, als es noch keine Arbeitsteilung gab -
und diese Zeit war für die Insulaner noch in meiner Jugend nicht ganz überwunden handwerkliche Fertigkeiten geerbt, tischlerten z. B.
Beliebt war, wie unter Seeleuten immer, das Schnitzen und Auftakeln von Schiffsmodellen,
deren zwei in der Kirche hingen, an den Rahen und an den Geschützpforten mit Leuchtern ausgestattet,
so daß sie für die Christmette als Kronleuchter dienten.“
![Inselkirche Spiekeroog](/img/Inselkirche.png)
Inselkirche Spiekeroog1
„Man schmuggelte den Bedarf des eigenen Haushalts im Herbst aus den Freihäfen, Bremen, Bremerhaven,
und die meisten Insulaner nahmen vom Strande, was ihnen brauchbar schien.“
„Das Privateigentum wurde so selbstverständlich respektiert, als könne es gar nicht anders sein -
vielleicht ist bei keinem Stamme dieser Respekt vor dem Privateigen so in Fleisch und Blut übergegangen, wie bei den Friesen.
Als die Kurgäste kamen, wunderten sie sich nicht wenig, daß Schloß und Riegel, wenn auch an den Außentüren vorhanden,
doch ganz überflüssige Dinge waren.“
„Das Geschlechtsleben war sehr keusch; uneheliche Kinder oder solche, die früher als neun Monate nach der Hochzeit geboren wurden,
waren unerhörte Abnormitäten.
Dr. Heinrich Kruse, der unlängst verstorbene Dichter, der in seinen „Seegeschichten: Spiekeroog - Ostfrieslands lieblichstes Eiland“ nennt,
erzählte mir vor Jahren, daß ihm ein alter Insulaner als überlieferte Kunde mitgeteilt habe, daß ehedem Mädchen, die ihre Virginität preisgegeben hatten,
im Beisein der ganzen Gemeinde ersäuft seien…“
„Katzen waren auf der Insel selten, bis ein neuer Pastor eine Mutterkatze mitbrachte, die, ungemein fruchtbar,
ihre Jungen in die Dünen schleppte, wo aus ihnen ein verwilderten Geschlecht erwuchs.
Mein Vater hatte einen heftigen Widerwillen gegen Katzen; in unserer ganzen Familie, auch auf den Schiffen wurde keine gehalten trotz der Mäuse und Ratten.
(Letztere gab es nur an Bord.) Der neue Pastor stammte aus Thunum, einem uralten „Hexendorf";
sein jüngerer Bruder erhielt sofort den Schimpfnamen (Ökernaam)
„Thunumer Bockhex“ eine allgemein gebräuchliche alte Wendung.
„Bock“ ist im Plattdeutschen der Dachfirst, ein Lieblingsaufenthalt der Katze.“
Die Seefahrt
Folgende seiner beruflichen Stationen und Schiffe kennen wir:
Sein Name findet sich auf der Bremer Musterungsliste: Datum der Musterung 18.8.1855, für das Schiff ANNA von Bremen nach Norwegen
und wir kennen auch das Datum der Musterung als Matrose auf dem Schiff AUGUST und EMMA von Bremen nach England, am 12. November 1857.
Die 25 ⅔ CL oder 38 1/2 L à 4000 Pfund große Galiot ADOLPH, Flaggennummer 68, wurde 1859/60 erbaut und gehörte Kapitän Ulrich Eberhard Leuß.
Für spätere Jahre ist sie nicht nachweisbar.
In den Jahren 1861 bis 1874 wurde er als Schiffer, Schiffseigner und Kapitän auf Spiekeroog genannt.
In seinem Besitz war damals die einmastige Kuffgaliot TINA, 19 12 CL, 29 L oder 45 RT groß, Flaggennummer 335.
Sie wurde 1864 für ihn in Papenburg bei H. W. Meyer erbaut.
Papenburg wurde erster Heimathafen, da das Schiff bis zur endgültigen Bezahlung im Besitz von H. W. Meyer blieb
und von ihm auch zunächst die Korrespondenz geführt wurde.
Spiekeroog wurde 1868 Heimathafen.
Die amtliche Eintragung lautet wie folgt: Kuffgaliot TINA, Flaggen No. 335, 15. März 1866.
Das Schiff ist aus Eichenholz nach Kraveelart gebaut, hat ein Deck, einen Topmast, ein rundes Gatt
und ist nach Bauart des Rumpfes eine Kuffgalliot mit zwei Schwertern.
Als Aufbau auf dem Verdeck ist ein Roof, als Erhöhung im Verdeck ein Kajütsdeck vorhanden.
Das Schiff ist eisenfest und hat keine Metallhaut.
Am 14. Dezember 1869 kenterte die TINA in schwerem Sturm auf einer Reise von England nach Wilhelmshaven an der schottischen Küste.
Die Mannschaft wurde durch das norddeutsche Schiff GEORG & THEODOR unter Kapitän Stechenhauer gerettet,
der sie am 19. Dezember an das Schiff VREDE unter Kapitän van Ryn übergab,
welches von Samos kam und die Schiffbrüchigen auf Texel landete.
![Schiff Meta Spiekeroog](/img/Meta.jpeg)
META2
Der 63 ⅓ CL, 74,25 L, 95 RL oder 119,14 BRT große Toppsegelschoner META, ex MARIANNE,
Flaggennummer 198, späteres Unterscheidungssignal KDTP, lief am 22. 4. 1854 auf der Werft des Schiffsbaumeisters Claas Dirks in Neurönnebek vom Stapel.
Erster Reeder war Ike Friedrich Warns aus Elsfleth.
1864 verkaufte er das Schiff an Carsten Frage aus Elsfleth (dort erhielt es den neuen Namen META).
Im März 1870 erwarb Kapitän Ulrich Eberhard Leiß aus Spiekeroog den 25,2 m langen, 5,8 m breiten und 3,01 m tiefen Schoner
und unternahm im Jahr 1871 eine Reise nach Jarrow, Vessels, Durham in England.
1876 wurde es an Kapitän Jacob Willms Jacobs in Neuharlingersiel verkauft.
Ulrich selbst wird in diesem Jahr als „Schiffskapitaen“ in Geestemünde genannt.
1880 kam die META in den Besitz von Kapitän Weyert Janssen Haak zu Timmel (aus Neuharlingersiel stammend),
der es an eine Reederei in Großefehn weiterverkaufte, bei der er selber mit 2/8 beteiligt war.
Korrespondentreeder wurde Tönjes J. Cassens.
Im Winter 1884/85 hatte sich das Schiff in Emden in Winterlage befunden und war von dort mit einer Ladung Pappe nach London in See gegangen.
In London nahm das Fahrzeug eine nach Malmö bestimmte Ladung Kohlenteeröl in Petroleumfässern
in der Gesamtzahl von 725 Stück à 400 Pfund sowie 10 Tonnen Pech ein.
Am 19. März machte das Schiff ziemlich viel Wasser, verschlimmert durch die ungünstige Witterung,
besonders aber in der Nacht vom 20. auf den 21. März, als sich der Schiffer gezwungen sah, die Segel zu reffen.
Schon während dieser Nacht mußte dauernd gepumpt werden.
Nachdem am 21. März morgens um 6 Uhr Hanstholm passiert war, fanden sich fünf bis sechs Fuß Wasser im Raum vor,
und trotz ständigen Pumpens nahm der Wasserstand noch mehr zu.
Nachmittags um drei Uhr war die Mannschaft so erschöpft, daß sie nicht mehr pumpen zu können erklärte.
Danach beschloß man im Schiffsrat, das Schiff auf den Strand zu setzen.
Nachdem die Notflagge gehißt worden war, setzte der Schoner nachmittags um 4 Uhr in der Vigsö-Bucht an der jütischen Küste bei Thisted auf den Strand.
Die Mannschaft flüchtete sich zunächst vor der übergehenden Brandung in die Takelage des Fockmastes und war später damit beschäftigt,
die vom Lande aus mit einem Raketenapparat zugeschossene Leine einzuholen, als die META plötzlich auseinanderbrach.
Der Kapitän trieb mit zwei Matrosen auf der Kajütskappe an Land.
Der Steuermann und der Koch hatten je ein Stück von der Reling erfaßt und versuchten, sich daran festzuhalten.
Nur der Koch konnte gerettet werden, der Steuermann kam ums Leben. Das Schiff wurde völlig zertrümmert.
Er nahm die Arbeit als Lloydkapitän auf, worüber sein Sohn Hans später schrieb:
„Die selbständigen Kapitäne der Insel sprachen verachtend von den Tressen der Lloydkapitäne und keineswegs aus Neid,
denn ihnen hätte der Übergang offen gestanden, wie denn später mein Vater sich fügte und in die Dienste des Lloyd trat.“
„Mein Onkel aber sagte mir: Leewer n' lütten Heer as n´ grooten Knecht - lieber ein kleiner Herr als ein großer Knecht -
und ist noch auf der Insel, wie auch sein Sohn und auch ein Vetter, die eine sehr tüchtige kaufmännische Schule genossen haben,
und denen eine Karriere im Handel wohl offen gestanden hätte; sie haben eine winzige Krämerei auf dem Eiland vorgezogen.
Das Sprichwort meines Onkels ist jedenfalls ein echt friesisches, weit echter als das “Leewer dood as Slaaw".3
Die Kinder
Ulrich Eberhard wird als Schiffer, Schiffseigner und Kapitän wohl häufig fern von seiner Familie an Bord eines Schiffes
gewesen sein und die Erziehung der Kinder lag sicher größtenteils in den Händen seiner Frau.
Über die Töchter Hedwig und Wesselke ist nur das Taufdatum bekannt.
Johann Addus trat in die Fußstapfen des Vaters und wurde im Jahr 1929 als „Master“ auf einem Schiff genannt, dass nach New York fuhr.
Tochter Theda heiratete den Schiffsoffizier Arthur Julien van de Voorde.
Dessen Vater war Inhaber eines mechanischen Puppentheaters „theatre pittoresque“, mit dem die Familie von Stadt zu Stadt zog.
Sohn Frerich fuhr ebenfalls zur See, und zwar als 4. Offizier von Bremen nach Albany,
mit dem Schiff PRINZREGENT LUIPOLD, einem Zweischraubendampfer, der Norddeutsche Lloyd.
Er fiel im 1. Weltkrieg.
Tochter Ettina wurde 1876 in Geestemünde geboren und besuchte dort im August 1899 die höhere Mädchenschule in Geestemünde.
Daraufhin folgte ein Medizinstudium in Zürich und 1910 die Promotion in Leipzig. Über sie ist an anderer Stelle mehr zu lesen.
Hans Thomas Leuss wurde nach dem Besuch des Gymnasiums in Aurich Autor, er war umstrittener Politiker und Antisemit
und am Ende seines Lebens Landdrost in Stargard – fern der Heimat.
Außerdem wurde er mehrfach inhaftiert, worüber an anderer Stelle zu lesen ist.
Hans Thomas schilderte in seinem Buch "Aus dem Zuchthause", dass sein Vater zwei Monate vor Beendigung seiner Haft in Celle gestorben sei:
„Auch meine Strafjahre gingen zu Ende.
Acht Wochen vor ihrem Ablauf erhielt ich die Nachricht, dass mein Vater tödlich erkrankt sei.
Ich eilte den Justizminister um Urlaub anzugehen, nicht ohne ausdrücklich in meinem Antrage zu sagen,
dass ich durch die Gewährung nicht gehindert werden würde ihn und sein Ressort öffentlich zu kritisieren;
… Die Telegramgebühren habe ich bezahlt; aber der Urlaub von zehn Tagen kam erst am sechsten Tage; als ich nach zu Hause ankam, war mein Vater sechs Stunden tot.
Er hatte nach mir verlangt, und seine letzten Worte hatten sich mit mir beschäftigt
… vom frischen Grabe meines Vaters kehrte ich dann noch auf zwei Monate in das Zuchthaus zurück, bis ich endgültig entlassen wurde“.
➸ Direkt zu Ulrich Leiss im Stammbaum
Quellen:
- https://www.marcopolo.de/reisefuehrer-tipps/ostfriesische-inseln/alte-inselkirche-poi-115007253.html
- Wiechers V
- H. Leuss: „Zur Volkskunde der Inselfriesen“